John Workmann - Vom Zeitungsjungen zum Millionär
1. Kapitel
Ein eisiger Abendwind fegte durch die Straßen New Yorks und trieb die Menschen zu größerer Eile als gewöhnlich an. Während sich sonst zu jeder Tages- und Abendstunde Menschenmengen vor den riesigen Glasscheiben des Maschinenhauses der größten Zeitung Amerikas, des »New York Harald«, stauten, um einen bewundernden Blick auf die ungeheuren Druckpressen werfen zu können, standen heute nur einige Zeitungsjungen in der Säulenhalle vor dem Maschinenhause und warteten auf die Ausgabe der letzten Abendnummer.
Man sah diesen Jungen nicht an, daß sie in ihrer abgetragenen dünnen Kleidung unter der Kälte litten. Ihre Augen glänzten, ihre Gesichter waren frostgerötet, und sie schienen durch das tägliche von morgens bis abends auf der Straße Verweilen gegen die Einflüsse der Witterung abgehärtet zu sein.
Abseits von der wartenden Gruppe stand ein hochaufgeschossener blonder Junge von etwa 12 Jahren, preßte sein Gesicht dicht an eine der großen Scheiben und schaute mit weitgeöffneten Augen auf die große Mehrfarbenpresse, welche ununterbrochen wie ein märchenhaftes Ungeheuer große, farbige Zeitungsblätter mit mathematischer Genauigkeit aus ihrem Innern herausbeförderte. Mit seiner ganzen kindlichen Intelligenz versuchte der Junge sich den Vorgang klarzumachen und das Wunderwerk der modernen Technik zu verstehen. Sein sehnlichster Wunsch war es, auch einmal eine solche Maschine zu bedienen, ja, in seinem kühnen Traume sah er sich sogar als Besitzer solcher Maschinen, und wenn er auf dem Broadway seine Zeitungen verkaufte, hatte er das Gefühl, als stehe er im Dienste eines den Menschen unbekannten, ungeheuren mechanischen Riesen. – Ein Gefühl von Stolz und Selbstbewußtsein erfüllte dann den einfachen Zeitungsjungen, das ihn weit über seine Käufer hinaushob.
Die Uhr auf dem Zeitungsgebäude schlug mit hellen, durchdringenden Tönen sieben Schläge. Der Junge drehte den Kopf von den Maschinen und lauschte. – –
Er kannte die Uhr.
Ein Wunderwerk, wie alles in dem Gebäude des Zeitungsriesen. Zwei in Erz gegossene doppelt lebensgroße Arbeitsmänner traten nach jeder vollen Stunde über das Haupttor des Zeitungsriesen und schlugen mit großen eisernen Hämmern auf eine metallene Platte sooft, wie es Zeit war. Der Hammerschlag durchdrang den tollen Lärm der Straße und ließ die Menschen ihre Köpfe zu dem Gebäude des Zeitungsriesen hinwenden.
Kaum war der letzte Klang verhallt, als der Zwölfjährige seinen spielenden Kameraden zurief: »Kommt, Boys, es ist Zeit.«
Er lief, von seinen Kameraden gefolgt, zu einem Seitentor, aus dem in fast endloser Reihe kleine hochbepackte Lieferwagen im Eiltempo mit der letzten Abendausgabe in die Stadt fuhren.
An ihnen vorbei drängelten sich die Zeitungsjungen und gelangten in einen kleinen Hof vor ein Schalterfenster, hinter dem der weißbärtige Kopf eines Mannes sichtbar war. Einer der Jungen nach dem anderen trat an das kleine Fenster, sagte kurz eine Nummer, mit welcher er die gewünschte Anzahl von Zeitungsexemplaren bezeichnete, warf das Geld auf das Schalterbrett und erhielt eiligst die geforderten Exemplare hinausgereicht.
Sobald ein Junge seine Zeitungen erhalten hatte, eilte er in derselben Hast wie die Autos davon, und knapp 10 Minuten nach sieben Uhr erfüllten die gellenden Rufe der Zeitungsjungen den Broadway und rissen die Menschen durch den Ausruf der neusten Verbrechen oder sonstiger sensationeller Nachrichten aus ihren Gedanken.
Bereits um acht Uhr hatten die meisten Jungen ihre Zeitungen verkauft und gingen nach Hause, wenn sie ein Zuhause besaßen. Aber nur wenige unter den zehn- bis zwölfjährigen Jungen hatten ein Heim. Wie nestlose Vögel, wie die Spatzen, krochen sie in irgendeinen versteckten Winkel, der sie etwas gegen Kälte und Regen schützte. Dort schliefen sie – ein Paket alter Zeitungen unter dem Kopf – mit einer alten Decke, wie sie von den großen Auswandererdampfern im Hafen verschenkt wurden, zugedeckt. Wer keine Decke besaß, wickelte sich in die großen Zeitungsblätter. Wieder andere, die nicht so sparsam waren, bezahlten in einem der verrufenen 10- Cent-Hotels ein schmutziges, hartes Lager.
Hart und unerbittlich ist der Weg der meisten Zeitungsjungen, und doch – mit Stolz betrachtet der Amerikaner die wetterharten, zielbewußten, flinken Burschen und nennt sie: »die Finanzgarde«; denn aus diesen Reihen, aus dieser harten Schule kamen viele der leitenden großen Männer Amerikas.
*
Es
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