Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
hinauszunehmen. Aber nicht ein solches. Es klingt so trüb und traurig.«
»Ach, Renate, daß ich ein tröstlicheres Wort mit mir nehmen könnte. Sprich es. Du weißt, was mich zu hören verlangt.«
Sie schwieg.
Tubal aber fuhr fort: »Ich weiß, warum du schweigst. Es fehlt uns etwas in den Herzen der Menschen, das ist unser Verhängnis. Meinen Vater hat es getroffen und ihm am Leben gezehrt, und nun trifft es mich. Es ist, als ob wir etwas verscherzt hätten. Einen Augenblick schien es, daß es anders werden sollte; da fällt nun dies in unser Leben hinein. Und wieder ist es hin. Altes und Neues zeugt gegen uns, und das ›Ja‹, das ich zu hören verlange, will nicht über deine Lippen.«
Da war nun das »Selbstbekenntnis«, das Marie am Abend vorher erst prophezeit hatte, und der leise Spott ihrer Worte klang schmerzlich in Renaten nach. Aber einen Augenblick nur, dann war es überwunden, und alles, was sich jemals zu Tubals Gunsten in ihrer Seele geregt, es war wieder da, doppelt da unter dem Einfluß eines tiefen Mitgefühls, das seine Worte geweckt hatten, und mit jener Offenheit und Heiterkeit, die den Zauber ihres Wesens ausmachte, sagte sie: »Höre mich, Tubal, ich will dir nichts verschweigen. Lewin und ich, wir haben es oft miteinander durchgesprochen, auch gestern erst. Euer Los ist nicht das schlimmste. Eines ward euch versagt, ein anderes ward euch gegeben. Und dies andere…«
Sie schwieg.
Er aber ergriff ihre Hand und rief, indem er sie mit Küssen bedeckte: »O diese deine Hand, daß ich sie halten dürfte mein Lebelang, immer, immer.«
»Ich werde sie keinem andern reichen. Aber verlange von dieser Stunde nicht mehr, und am wenigsten binde dich. Ich , ich bin gebunden.«
»O sage, daß du mich liebst, Renate. Sprich es, es hängt so viel an diesem Wort.«
»Nein, nicht jetzt. Es sind nicht Zeiten für Bund und Verlöbnis oder doch nicht für uns. Aber andere Zeiten kommen. Und hast du dann das eigene Herz geprüft und das meine vertrauen gelehrt, dann, ja dann!«
Elftes Kapitel
Hohen-Ziesar
Der Ausflug zu Drosselstein war auf zwei Uhr festgesetzt worden. Schon vorher hatten sich Berndt und Bamme verabredet, den Weg ihrerseits zu Pferde zurücklegen zu wollen. Der alte General auf seinem Shetländer. Ihnen gesellte sich Tubal, der, nach dem Vormittagsgespräche, von einer ihm selber unerklärlichen Scheu befallen war, die Fahrt an Renatens Seite zu machen. Er schien unsicher, welchen Ton er anzuschlagen habe. Oder war es ein anderes noch?
Die Reiter nahmen einen Vorsprung. Sie konnten indes den Stein vor Miekleys Mühle kaum passiert haben, als auch schon das Schlittengespann vorfuhr, das die Geschwister samt Grell und Hirschfeldt nach Hohen-Ziesar hinüberbringen sollte. Jeetze stand mit Decken und Kissen bereit, Lewin nahm die Leinen, und einen Augenblick später zogen die Braunen an und trabten die stille Dorfgasse hinauf. Das Klingen der Glöckchen mischte sich mit der Heiterkeit unserer Reisenden, von denen Lewin auf der Pritsche ritt, während der auf einem bloßen Brettstück untergebrachte Grell die beständige Versicherung von der Bequemlichkeit seines Rücksitzes durch ein ebenso beständiges Hin- und Herrutschen widerlegte. Am plauderhaftesten war Renate. Sie fühlte sich glücklicher denn seit lange. Dasselbe Zwiegespräch, das in Tubal verlegen nachwirkte, war ihr über Erwarten hinaus eine Quelle des Trostes geworden. Was sie dem alten Geheimrat in der Bohlsdorfer Kirche gesagt hatte: »Du pochst nicht an die rechte Tür«, das war damals wie zu jeder Zeit der Ausdruck ihres Herzens gewesen. Solange sie Tubal liebte, hatte sie auch der Zweifel begleitet, ob ihre Liebe von ihm erwidert werde, und dieser Zweifel, quälender als alles andere, war nun von ihr genommen. Er liebte sie. Was bedeutete daneben die Frage nach der Dauer oder nach der Treue seines Gefühls? Was war, verglichen damit, die bloße Zukunftsfrage: »Werd’ ich glücklich oder unglücklich sein?« Jetzt war sie glücklich, und ein verbleibender Rest von Furcht, der sie leise durchschauerte, steigerte nur das Hochgefühl des Augenblicks. Ihr war, als schreite sie durch einen Wald, aus dessen Tiefen es dunkel und bang-geheimnisvoll erklinge; aber was ihr die Nähe bot, das war Licht und Sonnenschein und Jubilieren der Vögel. Lewin hatte recht, der von helleren Tagen, und die Schorlemmer hatte recht, die von lauter Hochzeitszügen gesprochen hatte. Marie war eine Schwarzseherin, und sie selber war
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