Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
dieses Jahrhunderts lebten, noch gesehen haben wollen, führte den Namen »Allerhühnchen« (Alräunchen) und galt als Talisman der Familie. Es vererbte sich von Vater auf Sohn und wurde ängstlich bewahrt und gehütet. Geist von Beeren indessen kümmerte sich wenig um das wunderliche Familienerbstück; war er doch kein Freund von Sagen und Geschichten, von Tand und Märchenschnack, und was seiner Seele so ziemlich am meisten fehlte, war Pietät und der Sinn für das Geheimnisvolle.
Allerhühnchen hatte lang im Schrank gelegen, ohne daß seiner erwähnt worden wäre. Da führte das Weihnachtsfest eine lustige Gesellschaft bei Geist von Beeren zusammen, und der Zufall wollte, daß einer der Gäste vom »Allerhühnchen« sprach. »Was ist es damit?« hieß es von allen Seiten, und kaum daß die Frage gestellt worden war, so wurd auch schon die Geschichte zum besten gegeben und das Allerhühnchen herbeigeholt. Geist von Beeren ließ es rundum gehen, witzelte und spöttelte und – warf es dann ins Feuer.
Von dem Augenblick an brach das Unheil herein, und jene Schläge kamen, deren ich teilweis schon erwähnte. Zweimal brach Feuer aus, Krieg und Mißwachs zerstörten die Ernten, und rasche Todesfälle rafften die Glieder der Familie fort. Der General starb plötzlich, bald darauf die beiden Söhne desselben, endlich Geist von Beeren selbst. Die junge Witwe, welche Geist hinterließ, verlobte sich zwei Jahre später mit dem Hauptmann Willmer , einem liebenswürdigen Mann, und die Hochzeit stand nahe bevor. Da geriet Willmer in Streit mit einem Kameraden, einem Herrn von Dolfs von den Gardekürassieren, und in der Heide von Wulkow kam es zum Duell. Willmer ward erschossen. Sein Grab befindet sich auf dem Kirchhofe von Großbeeren. Neben ihm ruht die Tochter des »tollen Geist«, die ebenfalls auf rätselhafte Weise starb. Sie war in Berlin im Pensionat und fuhr nach Großbeeren hinaus, um ihre Mutter zu besuchen. Als der Wagen vor dem Hause hielt, schien das Fräulein fest und ruhig zu schlafen – sie war tot . Frau von Geist verkaufte schließlich die Besitzung, aber der Unsegen dauerte fort. Nichts gedieh, nichts wollte vorwärts. Der nächste Besitzer verlor sein Vermögen, der ihm folgende führte ein wüstes, unstetes Leben und verscholl, der dritte hielt sich, aber Streit und Hader verbitterten ihm die Tage.
Der Unsegen blieb; aber es blieb auch ein Geistsches Element an dieser Stelle lebendig, ein halb rätselhaftes Verlangen, es ihm an Tollheiten nachzutun. Man kann hieran Studien machen über die Macht und die nachwirkende Kraft eines Originals. Alle Nachfolger des »tollen Geist« hatten einen Zug von ihm, der letzte Besitzer, ein Rittmeister Briesen, am meisten. Sein größter Verehrer aber und ebenso sein begeistertster Nachahmer in allen Dingen, die sich nachahmen ließen, war ein Herr von Beier, der Großbeeren von 1827 bis 1837 besaß. Als eines Abglanzes ehemaliger Geistscher Herrlichkeit sei seiner am Schluß dieser Skizze gedacht. Es lag ihm daran, dem Herrenhause zu Großbeeren den Ruf von etwas Apartem zu erhalten, und kaum daß er von der Existenz eines in Zossen lebenden alten Mannes gehört hatte, der zur Zeit des »tollen Geist« eine Art Kammerdiener bei diesem gewesen, so ließ er sich’s angelegen sein, denselben zu engagieren. Der alte Mann kam auch und wurd ausgefragt, wie sein Gehalt, seine Beschäftigung und vor allem seine Kleidung gewesen sei. Kniehosen, Puderperücke, Silberborten und Schuhschnallen, alles wurde genau beschafft, wie’s in alten Zeiten gewesen war, und wenn Besuch kam, präsentierte man den Diener des tollen Geist, als ob es dieser selbst gewesen wäre. Herr von Beier war verheiratet; seine Ehe zeigte sich jedoch nicht glücklich und wurde getrennt. Bald nach der Trennung verließ er Großbeeren, bestellte vorläufig einen Verwalter und ging nach Österreich. Hier trat er als Lieutenant bei Wallmoden-Kürassieren ein. Das Regiment garnisonierte damals in Ungarn, und Beier verliebte sich sofort in eine vornehme ungarische Dame. Da der Vater derselben die Partie nicht wünschte, so sah sich der Liebhaber veranlaßt, die liebeskrank werdende Dame in der Rolle eines berühmten Arztes zu besuchen. Und ihr Leiden wurd auch wirklich gehoben, aber doch so , daß des Vaters »Ja« schließlich nicht wohl ausbleiben konnte. Nun nahm von Beier seinen Abschied und führte die junge Frau im Triumph nach Großbeeren. Wenn bis dahin alles im Stil des »tollen Geist« gewesen war,
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