Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
mehr ist, wie gefällt Ihnen Bamme? Sie sind heute den ganzen Tag über mit ihm zusammen gewesen. Aber auch vor einer Stunde noch, unten am Kamine; hörten Sie’s wohl? er mokierte sich über Drosselstein und glaubte es zu dürfen. Und was ist es am Ende? Diogenes in der Tonne, der sich über Alexander ärgert. Ein bißchen Zynismus, ein bißchen Schabernack. Ich lasse das Preußentum gelten, aber dies säbelbeinige Märkertum, das sich am liebsten in einen Husaren verkleidet, jeden Augenblick den alten Zieten spielen möchte und nichts von ihm hat als die Häßlichkeit, das ist mir verhaßt. Ja, die Häßlichkeit. Sehen Sie sich diesen Mann an, der für einen Typus dieser Gegenden gelten kann, und dann beantworten Sie mir die Frage, ob sich in der ganzen Gotteswelt, wenn Sie Kirgisen und Kalmücken außer Spiel lassen, etwas Ähnliches findet wie dieser ›Typus Bamme‹?«
»Vielleicht nicht«, antwortete Hirschfeldt. »Aber ich kann mich darüber nicht entrüsten. Der ›Typus Bamme‹, wie vieles an ihm auszusetzen sein mag, ist wenigstens ehrlich. Und je mehr in diesem Lande geheuchelt wird, vielleicht auch um seiner Entstehung und Geschichte willen geheuchelt werden muß, desto wohltuender berühren mich Einzelfiguren, die, wenn Sie mir den Ausdruck zugute halten wollen, durch En-detail-Ehrlichkeit die nationale En-gros-Schuld zu tilgen trachten. Bewußt oder unbewußt, ist gleichgiltig.«
Tubal hatte sich in seinem Bette aufgerichtet und sah verwundert zu dem Sprecher hinüber. Es war ihm, als ob er Bninski gehört hätte. Hirschfeldt aber, während er die Lichtschnuppe mit seinem Finger wegknipste, fuhr in demselben Gleichmutstone fort: »Es wundert Sie, Ladalinski, mich so sprechen zu hören. Mich, einen Altpreußen. Aber es erklärt sich leicht. Ich war lange draußen, und draußen lernt es sich. Jeder, der zurückkommt, wird durch nichts so sehr überrascht als durch den naiven Glauben, den er hier überall vorfindet, daß im Lande Preußen alles am besten sei. Das Große und das Kleine, das Ganze und das Einzelne. Am besten, sag’ ich, und vor allem auch am ehrlichsten. Und doch liegt unser schwacher und schwächster Punkt gerade nach dieser Seite hin. Welche Politik, die wir seit zwanzig Jahren gemacht! Lug und Trug, und wir mußten daran zugrunde gehen. Denn gleichviel, Staat oder Person, wer wankt und schwankt, wer unzuverlässig und unstet ist, wer Gelöbnisse bricht, mit einem Worte, wer nicht Treue hält, der ist des Todes. Und nun Gott befohlen. Löschen wir das Licht und schlafen wir. Morgen sind wir schlechter gebettet.«
Er löschte das Licht und sah Altes und Neues an sich vorüberziehen. Aber eines sah er nicht: wie seine letzten Worte das Herz seines Schlafkameraden getroffen hatten.
In dem Zimmer nebenan plauderten Lewin und Grell.
»Morgen um diese Zeit sind wir auf dem Marsch«, sagte Lewin. »Ist Ihnen leicht ums Herz?«
»Nein«, antwortete Grell. »Ich war nie im Feuer und bin deshalb in Furcht, vielleicht Furcht zu zeigen. Auch ist es ein eigen Ding mit den Vorahnungen.«
»Glauben Sie daran?«
»Ja«, bemerkte Grell. »Nicht jeder hat sie; aber wir haben es von der Mutter her. Im Schleswigschen ist es häufig.«
Eine kurze Pause folgte. Dann sagte Lewin: »Ich mag nicht in Sie dringen, Grell, über Dinge zu sprechen, von denen Sie vielleicht lieber schweigen. Aber eines möcht’ ich doch sagen dürfen: ich habe den Eindruck, als ob Sie das, was wir vorhaben, um einen Grad ernsthafter nehmen, als es genommen sein will. Es ist ein Coup, der entweder glückt oder nicht glückt; das ist alles. Überraschen wir den Feind, so gibt er sich gefangen, überraschen wir ihn nicht, oder lassen uns die Russen im Stich, so ziehen wir uns zurück; aber im einen wie im anderen Falle, nennenswerte Verluste werden schwerlich zu verzeichnen sein. Der Feind ist eben eingeschüchtert und wird sich, selbst wenn er unsern Angriff siegreich abschlägt, auf bloße Defensive beschränken müssen.«
Grell lächelte. »Möglich, daß Sie recht haben, Vitzewitz. Jedenfalls wünsch’ ich es. Aber Sie kennen die Frühjahrsgewitter: ein Blitz aus heiterem Himmel, und dann ist es wieder vorbei. Ein Schlag nur, aber er fordert jedesmal sein Opfer. Und wer will sagen, wer gefordert wird oder wen es trifft.«
Beide schwiegen und hingen ernsten Gedanken nach. Dann sagte Lewin, der dem Gespräch eine andere Wendung zu geben trachtete: »Haben Sie Kleists Grabmal besucht? Es wirkt etwas zopfig mit seinem
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