Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
bringt. Es ist mir, als läs’ ich ihn Zeile für Zeile. Absage, Zweifel, irgend etwas…«
In diesem Augenblicke fuhr der mit so viel Spannung erwartete Wagen über das Pflaster des Hofes und hielt. »Da sind sie!« riefen alle, und ehe Renate Zeit gefunden hatte, die bis dahin im Hintergrunde des Zimmers stehende Astrallampe vor das Sofa zu stellen, traten unsere Frankfurter Reisenden bereits ein. Die Schorlemmer und Jeetze folgten. Fragen über Fragen. Abendbrot wurde refüsiert, nur Tee befohlen, und weil alle mehr oder weniger ausgefroren waren, kam man überein, statt am Sofatisch, um den Kamin her Platz zu nehmen. Der Tagesbericht sollte chronologisch gegeben werden, kam aber nicht weit, da sich, als des über Hohen-Ziesar genommenen Umweges gedacht wurde, Lewin und Renate sofort des Drosselsteinschen Briefes entsannen, der in der Freude des Wiedersehens vergessen worden war.
Berndt erbrach den Brief und las: »Nur wenige Worte, mein teurer Vitzewitz. Eben komme ich von jenseits der Oder zurück und erfahre, daß Sie mit dem General und zwei anderen Herren hier waren, um mich für Frankfurt abzuholen. Ich war, wie Sie gewiß vermutet haben werden, inzwischen ein zweitesmal bei Tschernitscheff, den ich bereits auf dem Marsche traf. Er rückt heute noch bis auf zwei Meilen gegen Frankfurt vor. Seine Gesinnungen sind unverändert die besten. Er teilte mir zum Schlusse mit, daß er an seinen unmittelbaren Chef, den Korpskommandanten Fürsten Wittgenstein, berichtet habe und spätestens bis morgen mittag der Gutheißung der von ihm getanen, beziehungsweise noch zu tuenden Schritte entgegensähe. Tout à vous. Drosselstein.«
Ein jeder empfand die Zweideutigkeit dieser Tschernitscheffschen Zusage, die nötigenfalls auch Rückzug bedeuten konnte, keiner aber gab dieser Empfindung Ausdruck, am wenigsten Bamme, der, um der schlechten Stimmung ein Ende zu machen, von allem Möglichen und Unmöglichen, von Othegraven und den Sottmeiers, von den beiden »letzten Hellern«, dem himmlischen und dem höllischen, und schließlich auch von den zwei Nonnen »mit der blakenden ewigen Lampe« zu perorieren begann. Zuletzt verschwor er sich, daß es ein gutgeplantes Unternehmen sei, vor allem klar in der Anlage; drei Linien konzentrisch auf einen Punkt gerichtet, garantierten den Erfolg. Die Russen seien gute Kameraden. Hierbei warf er einen Blick auf Vitzewitz, um zu sehen, ob dieser es ernsthaft oder ironisch auffassen würde. Ja, sie seien gute Kameraden, müßten es sein, und es werde glücken. Wenn es aber nicht glücke, so sei die Welt keinen Schuß Pulver wert, einschließlich der ganzen göttlichen Gerechtigkeit, über die er ohnehin so seine Gedanken habe.
Alles sah verlegen vor sich hin, und die Schorlemmer flüsterte Renaten zu: »Wo will das hinaus?«; Bamme selbst aber, immer neue Löffel voll Baseler Kirschwasser in die längst geleerte Teetasse gießend, begann jetzt in seinem Ärger über Tschernitscheff – gegen den er klugheitshalber nichts sagen durfte – die Schalen seines Zornes auf den »Tout à vous-Drosselstein« auszuschütten, der sich mindestens zweierlei hätte sparen können: erstens den erneuten Besuch im russischen Hauptquartier und zweitens diesen Brief. Aber er gehöre ganz und gar zu den vornehmen Herren, die, weil sie nichts Besseres zu tun hätten, immer zwischen artigen Besuchen und artigen Briefen hin und her pendelten. Und das hieße dann Lebensart und Diplomatie.
Nach diesem Trumpfe – denn er hielt es mit »guten Abgängen« – erhob er sich plötzlich, wünschte gute Nacht und ging in sein Zimmer hinüber. Berndt folgte seinem Beispiele, bald auch die andern, und ehe zehn Uhr heran war, war alles still und dunkel im Haus.
Nur in den Hinterzimmern des Oberstocks brannte noch Licht. Hier hatten sich’s die Freunde bequem gemacht und genossen des Behagens, den eben beschlossenen Tag noch einmal durchzuplaudern. Auch des kommenden wurde dabei gedacht.
Tubal und Hirschfeldt, wie seinerzeit erzählt, waren Schlafkameraden. Ihr Zimmer lag mehr der Treppe zu, jener mittleren Stube gegenüber, in der die drei jungen Mädchen an dem »Einbruchsabend« in eine so tödliche Angst versetzt worden waren. Schon an einem der voraufgegangenen Tage hatte man des kleinen Abenteuers samt des Nachspiels mit Hoppenmarieken eingehender gedacht; heute kam man darauf zurück, und Tubal sagte plötzlich: »Und nun, Hirschfeldt, mit einem Sprunge, der von Hoppenmarieken aus eigentlich kein Sprung
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