Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
die Erfahrung unsre Großen nicht aufmerksam macht.
Berlin, 25.Januar 13
Seit dem 21. bin ich hier, um die Ereignisse abzuwarten. Marschall Davoust hat sich mit allem, was sich in der Eile zusammenraspeln ließ, in Thorn festgesetzt und will es verteidigen. Es heißt, der Verstand sei ihm erfroren. Denn obgleich die Stadt ein paar neue Werke hat, so ist sie doch nach der Stromseite hin offen und wird, wenn die Kutusowsche Armee herankommt, ein trauriges Schicksal haben. Die Durchzüge der fliehenden Überbleibsel der Großen Armee dauern fort. Und Mitleiden muß man mit den aufgeopferten Menschen haben. Neun Kavallerieregimenter kamen letzthin zu Fuß hier an; sie betrugen zusammen sechzig Mann. Von dem Großherzoglich Bergischen Chevauxlegersregiment sind bis dato drei Subalternoffiziers, ein Korporal und sechs Mann hier eingetroffen. Unter den ersteren ist des Chevalier Rex Sohn, der früher bei uns diente. An der Beresina wurde das schon früher mißhandelte Regiment aufgerieben. Er verlor sein Pferd und hat die Promenade hierher mit einem Hemd auf dem Leibe gemacht. – Allem Anscheine nach werde ich den Frieden nicht erleben, oder die Hand. die neuerlich ein so großes Werk zerstörte, müßte den Ausschlag in der Sache geben.
B., d. 1. Febr. 13
Die Durchzüge der elenden Überbleibsel einerseits und andererseits das Erscheinen des Grenierschen Corps, das nun in und um Berlin kantoniert, macht die Einquartierung äußerst drückend. Der Unwille der Bauern und Bürger steigt und steigt um so mehr, als die Grenierschen ziemlich dummdreist sind. Sie haben eben die russische Luft noch nicht gefühlt.
Vorgestern bat mich Geheimerat Serre zum Tee, wo ich dann die Bekanntschaft des Generals Grouchy machte, der mir viel Gutes von Dir und Deinem Manne sagte. Man sieht gleich an seinem ganzen Benehmen, daß er ein Mann von Erziehung und guter Gesinnung ist; seine Gesundheit hat übrigens sehr gelitten, denn in der Schlacht an der Moskwa hat ihn eine Kartätschenkugel, die ihn auf die Brust traf, vom Pferde geworfen. Sein Notizbuch und eine auf Leinen geklebte Karte, die er beide in der Brusttasche hatte, retteten ihm das Leben. Er hat aber an der Kontusion lange gelitten und Blut ausgeworfen. Jetzt liegt ihm ob, die destruierte Reiterei wieder in Ordnung zu bringen; die Depots sind in Braunschweig und Hannover; er hat aber vorläufig Urlaub nach Paris. Es werden jetzt an aller Welt Enden Pferde für die Franzosen gekauft, aber ungelehrte Reiter und ungelehrte Pferde bilden nicht gleich eine Reiterei. Unsere Ärzte sind außerdem der Meinung, daß alle die, welche durch Kälte und Hunger sehr heruntergekommen sind, nie wieder zu einer festen Gesundheit gelangen können. Was uns angeht, so sind wir auch nicht beneidenswert. Aufgefressen von den Alliierten, geschunden von unseren eigenen Finanzherren, erwarten wir einen vollkommnen Unvermögenszustand. Ohnerachtet des sauberen Tresorscheinedikts standen die Scheine selbst vor acht Tagen zu sechzig Prozent, und vorgestern auf der Börse hatten sie gar keinen Cours. Das Drolligste bei der Sache ist, daß jetzt niemand das Edikt fabriziert haben will. Stägemann und Scharnweber haben öffentlich erklärt, nichts davon gewußt zu haben, ja, letzterer hat sogar eine Vorstellung dagegen nach Breslau gesandt. Von allen Seiten ist protestiert worden, ob es aber helfen wird, steht dahin. Tages nach der Publikation war ein Zettel an der Königlichen Porzellanmanufaktur befindlich mit der deutlichen Inschrift: »Hier kauft man nur für bares Geld«. Ebenso hat der Entrepreneur der Posten erklärt, »daß er nur auf bares Geld kontrahiert habe und den Kontrakt nicht erfüllen könne, wenn ihm Tresorscheine gegeben würden«. – Der Elend- und Ekelzustand der armen Soldaten, die aus Rußland zurückkommen, spottet jeder Beschreibung. Von Ungeziefer sprechen gibt kaum eine Andeutung. Selbst hohe Offiziere machen keine Ausnahme, und die Waschweiber weigern sich, für sie zu waschen. Die wenigen, die noch Mittel haben, kleiden sich hier ein. Sonst schleppen sie ihre Lumpen bis nach Frankreich hinein. – Von Kotzebue läuft hier unter der Hand eine Beschreibung des Einmarsches und Rückzuges der unüberwindlichen Armee herum, deren ich noch nicht habe habhaft werden können. Sie soll nett geschrieben, aber auch mit tüchtigen Hieben auf manche Windbeuteleien ausgestattet sein. – Vor zwei Tagen hab ich Fritzchen, den zweiten Sohn des Feldmarschalls Grafen Kalckreuth,
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