Watermind
Prolog
Drei junge Akademiker in Westkanada waren am Boden zerstört, als sie miterleben mussten, wie ihr Wetterexperiment baden ging. Ihre kostbaren Minicomputer wurden in einem Sturm fortgeschwemmt. Jede dieser kleinen Maschinen war ein Wunderwerk der Mikrotechnik – mit wasserfesten Sensoren, Speichern, Prozessoren und Funkempfängern –, komplette Wetterstationen, nicht größer als Diamantsplitter.
Die 144 winzigen Dinger, die in einem drahtlosen Netzwerk miteinander verbunden waren und von weniger als einem Watt Sonnenlicht gespeist werden, hätten hundert Jahre lang Klimadaten in den alten Wäldern von Alberta verarbeiten können. Stattdessen wurden die kostspieligen Stecknadelköpfe von den Bäumen gespült, rannen über den moosbewachsenen Boden, tröpfelten in den vom Regen angeschwollenen Milk River und strömten in Richtung Süden davon.
Sie schwammen meilenweit synchron durch kanadische Gewässer und rauschten dann in einem kleinen dichten Verbund über die US-amerikanische Grenze. Nachdem sie den jadegrünen Missouri erreicht hatten, strudelten sie neun Wochen lang am Zusammenfluss mit dem Yellowstone River im Kreis, umspült von Düngemitteln, Maschinenöl und genetisch veränderten Weizenkeimen. Schließlich trieben 139 von ihnen ab und gerieten in das Ansaugrohr des Wasserkraftwerks von Garrison. Sie wurden durch eine Leitung gepresst und wild durch die Turbine gewirbelt, bevor sie ins Unterwasser drifteten. Ihre Schaltkreise knisterten mit neuen Informationen.
Einen Monat lang werteten sie eine Kiste mit Diagnosechips für Traktoren aus, die im Lake Oahe entsorgt worden war. In der Nähe von Sioux City schwammen sie an einer Deponie vorbei, die verfaulende Reste von Eierschalen, Kaffeesatz, alten Computern und menschlichem Östrogen ausspuckte. Eine ganze Woche rotierten sie um einen kaputten Gameboy. Von dort führte sie der Missouri direkt ins Landesinnere, bis sie schließlich in den rostbraunen Mississippi eintauchten, den fünftgrößten Fluss der Welt.
Der ›Vater aller Ströme‹ war für sie ungemein faszinierend. Die kräftige Strömung riss knapp 400.000 Tonnen Abfall vom halben nordamerikanischen Kontinent mit sich. Die Minicomputer tanzten an Schrittmachern, Echoloten, Babymonitoren und elektronischen Autoschlüsseln vorbei. Sie leiteten Signale von verlorenen Hörgeräten und Speicherkarten weiter. GPS-gesteuerte Bojen gaben ihnen Orientierung. Wenn sie Daten aufschnappten, wurden sie in ihr gemeinsames Wissen integriert.
Südlich von St. Louis verfingen sich drei Minicomputer in einer Plastikeinkaufstüte, aber die Überlebenden sausten weiter, verarbeiteten Rotz, Sperma und Pentium-Chips. Dort, wo der Ohio River schäumend hereinströmte, konferierten sie mit einem Mobiltelefon, das von seinem verzweifelten Besitzer von einer Brücke in Ithaca, New York, geworfen worden war. Der Arkansas River brachte ihnen Methamphetamine und Strontium 90.
Trotz ihres Tempos, ihrer Neugier und ihrer Bereitschaft, neue Welten zu entdecken, schaffte nur ein einziger Minicomputer den weiten Weg bis zum Golf von Mexiko, wo er, abgeschnitten vom Netzwerk, schnell überlastet war und durchbrannte. Die 117 übriggebliebenen Stecknadelköpfe wurden vom Fluss in Baton Rouge angespült.
Fast ein Jahr, nachdem ihre Reise in Kanada begonnen hatte, landeten die Minicomputer weniger als dreihundert Kilometer vom Meer entfernt in einer fauligen Sumpflandschaft aus Petrochemikalien, ausgebrannten Autos, weggeworfenen Haushaltsgeräten und Schlamm. In dieser stinkenden Brühe entwickelten Frösche Buckel und Wucherungen, befielen Bakterien Batteriezellen und verließen aktive Chips ihre Hauptplatinen, um Algenansammlungen zu besiedeln. Das Wasser war voller Signale und Klingeltöne. Und die Minicomputer knüpften neue Verbindungen.
Dieser Ort wurde Devil's Swamp genannt.
Erster Teil Entstehung
1
Mittwoch, 9. März, 10.55 Uhr
»Cool! Sexy Rhythmus!« CJ Reilly stand knietief in orangefarbenem Schlamm und bewegte ihre schmalen Hüften zur Musik aus ihrem iPod. »Hast du den Song geschrieben?«
»Eh oui .« Max Pottevents schlug nach einem Moskito und nahm die Schaufel in die andere Hand.
»Erzähl mir alles über diesen Zydeco«, sagte sie und schwang ihren Eimer.
Der heiße Sumpf um sie herum stank nach totem Fisch, und trübe Regenbogenfarben marmorierten die Ölschichten auf den Tümpeln. Chemieabfälle schwärten im Schilf. An der Flussmündung schäumte der Devil's Swamp wie ein nasser
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