Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Meilen weit herholen müssen. Wollte Gott daß ein billiger Frieden die Menschen endlich beruhigte. Das Wie und Wo bleibt uns freilich verborgen.
L., 8. Dezember 12
Von meinen Pferden ist der Braune den Franzosen zuteil geworden; den Schwarzen hab ich wiederbekommen, was mir sehr lieb ist, denn dieser ist ein viel besseres Arbeitspferd, und der Braune, wenngleich hübscher, hatte schon zweimal Anfälle von Kolik gehabt, die ja so leicht tödlich verläuft. Ich zweifle nicht, er wird, wenn er bivouakieren soll, bald umfallen.
L., 18. Dezember 12
Dein Brief bestätigte mir die hier schon bekannte Reise. In Dresden stieg er des Morgens zwei Uhr bei dem Gesandten ab, warf sich auf ein Bett, schlief ein paar Stunden und ließ darauf Serenissimus zu sich entbieten, der denn auch um fünf Uhr morgens in einer Portechaise zu ihm gebracht wurde und eine einstündige Konferenz hatte, worauf die Reise eiligst weiterging. Diese an Flucht grenzende Eile hat den Neuigkeitskrämern Gewißheit gegeben, daß die ganze französische Armee geschlagen und zerstreut ist. Was man vernünftigerweise zusammenbringen kann, ist etwa das Folgende. Die Kommunikation mit Polen war abgeschnitten, mehrere russische Generale hatten bereits im Rücken der Großen Armee verschiedene glückliche Gefechte gehabt, und das Magazin zu Witebsk war verbrannt. In der mißglückten Expedition nach Kaluga war viel Artillerie verlorengegangen und Kavallerie und Train ihrer Pferde beraubt. Nun mußte die Hauptmasse vor allem Wilna zu erreichen suchen, zu welchem Behufe die bereits im Rücken stehenden Russen vertrieben werden mußten. Und in der Tat, man hat sich durchgeschlagen und mit ungeheuren Verlusten an Menschen, Pferden und Artillerie wenigstens das erreicht, daß das Hauptquartier in Wilna bleiben konnte. Man will wissen, daß 130 Kanonen verlorengegangen sind, und kann den Reden der durchpassierenden Verstümmelten unschwer entnehmen, daß die Armee in schlechtem Zustande ist. Von den Verstümmelten starben viele unterwegs. Vor vier Tagen wurden neun von einigen vierzigen, die hier ankamen, totgefroren vom Wagen genommen. Oh, Menschen, wie wird mit euch verfahren! Wir sollen nun noch drei Regimenter Kavallerie nachschicken. General von Winzingerode, der mit seinem Adjutanten Narischkin gefangengenommen wurde, sollte zur Strafe dafür, daß er erst bei uns, dann bei den Österreichern, dann bei den Russen gegen die große Nation gedient hat, zu Fuße nach Frankreich abgeführt werden; die Kosaken haben ihn aber im Rücken der Franzosen befreit. Die Portugiesen sind, wie verlautet, zu den Russen übergegangen und auf englischen Schiffen fortgebracht worden. Rostoptschin ist zum Gouverneur von Petersburg ernannt, was genügsam andeutet, daß er Befehl hatte, Moskau zu verbrennen. – In zweiundzwanzig Tagen war kein französischer Courier hier durchgekommen. Einen hatten die Kosaken aufgehenkt. Der letzte, der durchkam, kam mit ein paar Säbelhieben an. – Yorck soll über Macdonald klagen, daß er ihn nicht unterstützt habe; der aber konnt es wahrscheinlich nicht, weil er ein fünfzig Meilen breites Terrain zu decken hat.
L., 23. Dezember 12
Was Du mir über den angekommenen verhungerten Sekretär schreibst, ist tragisch genug, aber im Grunde genommen nur ein Geringes gegen das , was man hier von der Katastrophe vernimmt. Auch hier kommen so manche durch, die, wie Diogenes, nichts haben, als was sie auf dem Leibe tragen. Und versteht sich an Ohren und Händen erfroren. Obgleich wir nur brockenweis den Hergang erfahren, so reicht es doch aus, uns mit Schauder zu erfüllen. Was in Wäldern und auf Heerstraßen an Menschen und Pferden umgekommen ist, übertrifft vielleicht die Zahl derer, die das Schwert getötet hat. Nicht nur das ganze Hauptquartier ist jeder kleinsten Bequemlichkeit beraubt, sondern auch der Anstifter all dieses Unheils hat nichts gerettet, als was er auf dem Leibe hatte. General Narbonne , der, wie es heißt, hier negoziieren soll, kam hier so kahl an, daß er die ersten zwei Tage in seiner Stube bleiben mußte, um sich Wäsche und Kleider zu verschaffen. Aber glaube nicht, daß man sich bei dieser ersten verunglückten Probe beruhigen wird. Nein, man wird die Vorsehung aufs neue versuchen wollen. Dazu geschehen schon allerhand Zubereitungen. Das Scheusal Daru, der wieder Generalintendant sein soll, kam auf der Flucht in Gumbinnen an und sagte dem Präsidenten von Schön in seinem allerimperativsten Ton, »er müsse
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