Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
abgegeben.
Wir läuteten noch immer. Niemand kam, wenigstens nicht von innen her, während draußen unsere Gruppe einen beständigen Zuwachs erfuhr. Es war ersichtlich, daß das »alte Ungeld« den Charakter eines Nothhafens, einer letzten Retirade hatte, wohin, nach einem stillen Abkommen zwischen den besseren Gasthofsbesitzern Prags, alles das dirigirt wurde, was in den eigentlichen Hotels kein Unterkommen finden konnte. Wir waren bereits auf zwanzig Mann angewachsen, Offiziere aller Waffengattungen, und das Glockenläuten und Säbelrasseln, dazwischen das Lachen, Rufen und Donnern, durchlärmte die Nacht. »Wir müssen hinein«; darüber herrschte nur eine Stimme. Pläne wurden bereits entworfen, wie das »alte Ungeld« im Sturm zu nehmen sei, als ein ungewisser Lichtschimmer zwischen den Ritzen des Thorwegs sichtbar und bald darauf der Schlüssel im Schloß gedreht wurde. Die Thür ging auf und eine kleine Laterne in der Hand, stand ein czechischer Hausknecht, klein, strubblig, verschlafen, vor uns.
Allgemeine Heiterkeit begrüßte ihn. »Der ist ächt!« riefen einige der Vordersten, und so bereitwillig zugestanden werden muß, daß ein starker Campagne-Tonbereits unter uns vorherrschte, so gewiß ist es doch auch, daß eine übermüthige Laune nie dringender herausgefordert wurde. Diese Herausforderung lag zum großen Theil in der leichtfertigen Behandlung, die die Kostümfrage von Seiten dieses czechischen Struwelpeters erfuhr. Ob er nun sein Beinkleid verkehrt angezogen hatte, oder ob der böhmische Schnitt sich mehr der Kinderhose nähert, gleichviel, seine Rückseite hatte nach unten zu jenen sonderbaren, flaggenhaften Appendix, der Hierlandes einen wohlbekannten, aus den Haus- und Miethsverhältnissen entnommenen, in seiner Entstehungsgeschichte noch nicht genügend aufgeklärten Namen führt.
Unser Lachen mochte den Betroffenen wenig verdrießen; er führte uns vielmehr an großen Biertischen vorbei, dann und wann seine Laterne hoch haltend, treppauf und – hony soit qui mal y pense – in das Schlafzimmer der Schließerin hinein. Diese schien an derlei Unterbrechungen ihrer nächtlichen Ruhe gewöhnt und rief uns, während wir Kopf an Kopf zwischen Thür und Bett standen, in beneidenswerther Naivität zu: »Sind’s die zwei Herren, die bestellt haben?« »Jawohl«, riefen zwanzig Stimmen.
Kein längeres Verweilen bei diesen Details! Genug, – wir kamen schließlich unter. Der letzte Trupp, wie wir anderen Tags erfuhren, hatte sich unten auf die Biertische gelegt, die Reisesäcke als Kopfkissen, und war mit großen blutrothen Deckbetten, an denen die Böhmen einen Ueberfluß zu haben scheinen, zugedeckt worden. Wir (unserer vier) hatten ein kleines Zimmer erhalten, zwei Treppen hoch, am Ende eines langen Corridors, gegenüber einem jener Räume, die in ganz Böhmen einen für unser norddeutsches Ohr durchaus unverfänglichen Namen führen, so unverfänglich, daßes sich allenfalls gestatten würde, denselben hier herzusetzen. Doch nehmen wir Abstand davon und zwar um so lieber, als unleugbar eine tiefe Kluft besteht zwischen der Harmlosigkeit ihres Namens und ihrer Wirklichkeit.
Es war drei Uhr, als wir das Licht löschten. Zwei von uns lagen in Bettstellen; einer auf dem Sopha; ich saß rittlings auf einem Stuhl und stützte meinen Arm auf die Lehne. Mir zu Füßen lag ein Haufen hoch aufgeschichteter, aus den zwei Bettstellen herausgeworfener Kissen, über deren dunklen Gipfel hinweg ich auf die Fensterscheiben sah und den Morgen heranwachte. Meine Gefährten, glücklicher als ich, schliefen bald; ich aber hatte Zeit, über das »alte Ungeld« nachzudenken. In manchen Stücken traf ich’s. Was ich nachträglich erfuhr, ist folgendes:
Das »alte Ungeld«, früher der Teinhof genannt und unmittelbar neben der Teinkirche, der ältesten und berühmtesten Kirche Prags, gelegen, war im neunten Jahrhundert eine Herzogliche Residenz und hieß der »Tein« von »tyniti« umpfählen, weil er mit Pfahlwerk befestigt war. Dieser »Teinhof« bildet noch jetzt einen abgeschlossenen Komplex von zehn Bürgerhäusern. Schon 1101 wurde die ehemalige Residenz in ein Kaufhaus umgewandelt. König Johann von Böhmen (derselbe »blinde König Johann«, der
1346 in
der Schlacht bei Crecy gegen die Engländer blieb) errichtete hier 1310 ein »Ungeld« das heißt ein Acciseamt für die neu eingeführte Wein- und Salzsteuer. Später ging es in Privatbesitz über, ein neues Acciseamt wurde errichtet und was bis dahin
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