Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
oder vierzehnjährigen Knaben lagen. Sein Kostüm war ziemlich abenteuerlich. Er trug eine graue Zwillich-Jacke, eine blaue österreichische Feldmütze und auf beiden Schultern die regelrechte Achselklappe unsres Garde-Grenadier-Regiments Kaiser Franz. Ich hielt den Jungen für einen Czechen, worin mich seine Stubs-Nase und die hohen Backenknochen bestärkten, und war einigermaßen überrascht, von den wachthabenden Soldaten zu erfahren, daß dies der in Kriegs-Korrespondenzen viel gefeierte Carl Lehmann sei, der sich, wie übrigens bekannt, beim Ausmarsch der Garden aus Berlin, dem 2. Bataillon des Kaiser Franz-Regiments angeschlossen und im Geleit desselben (schließlich auch durch die Achselklappen geehrt) die ganze Campagne mitgemacht hatte. Ein Zufall hatte es also gewollt, daß er just in das Gefolge, um nicht zu sagen, in die Reihen, des Garde-Bataillons eingetreten war, das zuerst ins Feuer kam und so ziemlichdie schwersten Verluste erlitt. Oberst-Lieutenant von Gaudy blieb, alle Offiziere waren todt oder verwundet, aber – Carl Lehmann stand. Die Soldaten lobten seine Treue und seine Bravour. Immer im Kugelregen aktiv, schleppte er für die verdursteten Truppen Wasser herbei. Er scheute keine Gefahr. »An Arab of the Street«, wie der moderne englische Ausdruck lautet. Die Soldaten nennen ihn »Garibaldi«. Er soll in eine Militair-Erziehungsanstalt kommen und ausgebildet werden. Uebrigens habe ich nachträglich erfahren, daß solche enfants de troupe sich bei den verschiedensten Regimentern ausgebildet haben; man nannte mir unter andern das I. Garde-Regiment, die schwarzen Husaren und das Regiment Elisabeth. Doch mögen hier Verwechslungen vorliegen. (Carl Lehmann ist inzwischen, wie männiglich bekannt, am 21. September mit seinem Bataillon in Berlin eingerückt.)
Der Menschenstrom, wie schon angedeutet, ging großentheils nach einer Richtung der innern Stadt zu. Bald erfuhren wir den Grund: es war heute der Namenstag des Kaisers und auf dem »großen Ring« wurde dieser Festtag durch eine Bürgergarden-Parade gefeiert. Wir schlossen uns dem Strome an und landeten auf dem großen freien Platz, der zwischen dem alten Prager Rathhause und der noch älteren Teinkirche liegt. Wenige Schritte abwärts von der Teinkirche erhebt sich das Kinskysche Palais. Der Platz war mit Menschen überfüllt, inmitten dieser Menschenmasse aber stand die Bürgergarde, in Quarré formirt, die Front nach der Teinkirche hin geöffnet. Ein Fiacre, dessen Kutschersitz ich ohne langes Bedenken als Stehplatz engagirte, gab mir Gelegenheit, das interessante Schauspiel, dessen Augenzeuge ich nun wurde, mühlos zu überblicken. Schon die Bürgergarde selbst, von ausgezeichneter Haltungund sehr geschmackvoll uniformirt, gewährte einen schönen Anblick. Sie bestand aus drei Abtheilungen: den Grenadieren (Bärenmützen), Musketieren und Scharfschützen. Besonders die letzteren sahen vortrefflich aus; sie trugen die dunklen Federbüsche wie die Jäger-Bataillone der österreichischen Armee. In der Teinkirche wurde, während die Bürgergarde draußen in Parade stand, das Hochamt vom Kardinal-Erzbischof Fürsten Schwarzenberg celebrirt. Die Hauptmomente des Hochamts wurden von dem bewaffneten Bürgercorps in Ermangelung der Schußwaffen (die an das preußische Gouvernement hatten abgeliefert werden müssen) durch das Anstimmen der Volkshymne »Gott, erhalte Franz den Kaiser« bezeichnet. Dies machte sich sehr feierlich, viel feierlicher als bloße Gewehr-Salven vermocht hätten. Nach Beendigung des Hochamts trat der Kardinal-Erzbischof auf den Platz hinaus und ertheilte den Segen; dann erfolgte der Vorbeimarsch der Bürgergarde vor dem Gouverneur von Böhmen, General Vogel von Falckenstein. Nach dem Defiliren versammelten sich die Offiziere um den preußischen General der, wie ich später erfuhr, ihnen dankte, ihre Haltung lobte und in Anerkennung dieser Haltung ihnen die sofortige Zurückgabe ihrer Gewehre zusagte. In der That zogen die Bürgergarden noch am selben Tag in voller Ausrüstung auf Wache.
Das Volk verlief sich, wir unsererseits warfen noch einen Blick auf die umstehenden alten Gebäude, lugten in die Teinkirche hinein, darin noch die Weihrauchwolken zogen, und schickten uns dann zu einer mehrstündigen Fahrt an, um die Stadt als ein Gesammtbild auf uns wirken zu lassen. Durch breite und enge Gassen, die Kolowratstraße hinauf, den Roßmarkt hinunter, an alten Kirchen und neuen Statuen vorbei, passirtenwir zuletzt den
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