Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
habe Erbsen auf ihrem Gesicht gedroschen, mehr oder weniger bezeichnend gefunden. Jedenfalls ist der Ausdruck sprichwörtlich geworden. Hier aber wäre diese sprichwörtliche Wendung eitel Beschönigung gewesen, denn bei der guten Schrödter gab es nicht erbsengroße Kuten, sondern halbhandbreite Narbenflächen. Ein Anblick, wie ich ihn nie wieder gehabt habe. Trotzdem, wie schon in Vorstehendem gesagt, kam es zu einem Engagement, und niemals ist ein glücklicheres abgeschlossen worden. Die Schrödter war ein Schatz, und als sechs Wochen später meine Mutter eintraf, sagte sie: »Das hast du gut gemacht, Louis; so entstellt sie ist, ihre Augen sind ihr geblieben und sagen einem, daß sie treu und zuverlässig ist. Und vor Liebschaften ist sie sicher und wir mit ihr. An der werden wir nur Freude haben.« Und so kam es auch. Solange wir in Swinemünde blieben, solange blieb auch die Schrödter in unserem Hause, von alt und jung geliebt und verehrt, nicht zum wenigsten von meinem Vater, der ihr besonders ihren Gerechtigkeitssinn und ihren Freimut hoch anrechnete, trotzdem er unter beiden Eigenschaften gelegentlich ernstlich zu leiden hatte. Sie war nämlich in einer beständigen Kriegführung gegen ihn, einmal aus Liebe zu meiner Mutter (deren beredten Anwalt sie machte, trotzdem diese nach dem Satze: »Die beste Deckung ist der Hieb« sich sehr gut selber zu verteidigen wußte), dann aber auch als Verwalterin der ihr mit vollster Machtvollkommenheit anvertrauten Speisekammer, gegen die mein Vater beständig Raubzüge unternahm, nicht bloß für seine Person – das wäre noch gegangen, wiewohl er imstande war, einen halben Kalbsbraten ohne weiteres wegzufrühstücken –, sondern Raubzüge auch zugunsten seiner Lieblinge: Hühner, Hunde, Katzen, von welch letzteren wir zwei hatten, Peter und Petrine. Peter, auch Peter der Große genannt, ein Kerl wie ein junger Jaguar, war sein besonderer Liebling, und wenn ihm das schöne Tier schnurrend in die Speisekammer gefolgt war (und er folgte immer), so nahmen die Leckerbissen für ihn kein Ende. Das Beste war gerade gut genug. Über diese gottlose Wirtschaft raste dann die treue Seele, die Schrödter, die manchmal die ganze Mittagsbrotdisposition in Frage gestellt sah. – Ja, sie war ein Schatz im Hause, noch mehr aber ein Segen für uns Kinder, ganz besonders für mich. Unsere Erziehung seitens der Eltern ging sprungweise vor, war da und dann wieder nicht da, von Kontinuität keine Rede. Für diese Kontinuität sorgte aber die Schrödter. Sie hatte keine Lieblinge, ließ sich kein X für ein U machen und verstand es, jeden an der rechten Stelle zu fassen. Was mich anging, so wußte sie, daß ich gut geartet, aber empfindlich, eitel und von einer gewissen Großmannssucht beherrscht war. Das alles wollte sie niederhalten, und so hörte ich denn zahllose Male: »Ja, du denkst wunder wer du bist, aber du bist ein kindischer Junge, geradeso wie die anderen und mitunter noch ein bißchen schlimmer. Willst immer den jungen Herrn spielen, aber junge Herren lecken keinen Honig vom Teller und streiten es wenigstens nicht ab, wenn sie’s getan haben, und lügen überhaupt nicht. Neulich hast du was von Ehre geschnackt, nun, ich sage dir, Ehre sieht anders aus.« Sie hielt auf Wahrheit, behandelte Großsprechereien mit feinem Spott und war sparsam in ihrem Lob. Aber wenn sie lobte, das wirkte. Sie hat mir viel gute Dienste geleistet, und erst spät im Leben, als ich schon über fünfzig war, bin ich noch einmal einer alten Dame begegnet, die gleich erziehlich auf mich eingewirkt hat. Denn man hört nie auf, erziehungsbedürftig zu sein; ich gehe noch jetzt in die Schule und lerne von Leuten, die meine Enkel sein könnten.
So viel über die gute Schrödter, und nachdem ich ihrer in diesem Exkurse gedacht habe, frage ich noch einmal: »Ja, wie lebten wir?« Ich gedenke, es in einer Reihe von Bildern zu zeigen, und um Ordnung und Überblick in die Sache zu bringen, wird es gut sein, das Leben, wie wir es führten, in zwei Hälften zu teilen, in ein Sommer- und in ein Winterleben.
Da war nun also zunächst das Sommerleben. Um Mitte Juni hatten wir regelmäßig das Haus voll Besuch, denn meine Mutter hielt noch nach alter Sitte zu Verwandten, was wir Kinder nur sehr unvollkommen von ihr geerbt haben. Aber wohlverstanden, sie hielt zu Verwandten, nicht um Vorteile von ihnen zu haben, sondern um Vorteile zu gewähren. Sie war unglaublich generös, und es gab Zeiten, wo wir, schon
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