Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ganze Prinzipalität samt allen Provisoren und Gehilfen als etwas tief Inferiores unter mir verschwand. Ich nehme an, so stand es auch mit Dr. Lau, der in dem Bewußtsein: »Ich bin ein Schüler von Schleiermacher und besitze nicht nur den Westöstlichen Diwan, sondern kann ihn sogar auswendig«, über alle Misere des Lebens weggekommen war und allem Anscheine nach auch jetzt wieder nach seinem Eintreffen in Swinemünde – dessen »Konsuln« ihm als einem guten Liviuskenner schwerlich imponierten – ein innerlich freies und glückliches Leben führte. Die Konsuln ihrerseits lachten natürlich auch über Dr. Lau und hielten ihn für eine komische Null.
So war seine Stellung zu den Stadtgrößen. Anders stand er in dem Krauseschen Hause, dem er jetzt angehörte. Da war er geliebt und geschätzt und antwortete darauf mit Hingebung und Treue. Wir liebten ihn außerordentlich und sahen in ihm etwas in jeder Hinsicht Ausgezeichnetes. Daß er uns, weil er seinem Herzen nicht Gewalt antun mochte, dann und wann Gedichte aus dem Westöstlichen Diwan, der seine Spezialität war, vorlas, war gewiß anfechtbar, aber daß er sich dadurch lächerlich gemacht hätte, davon konnte keine Rede sein. Im Gegenteil. Diese Vorlesungen, von denen wir natürlich kein Wort verstanden, waren uns nur die Besieglung alles dessen, was wir an diesem kleinen Manne mit dem buntkattunenen, immer die Brille putzenden Taschentuche bewunderten. Unter allem aber stand uns eines obenan: Er war nämlich auch Bräutigam. Das Bildnis seiner Braut, in Pastell, hing am Fußende seines Bettes, eine Pastorentochter von freundlichen, beinahe hübschen Gesichtszügen, mit einem schwarzen Samtband um den Hals, daran ein Medaillon hing. Das Gesicht war uns interessant genug, aber das Interesse, das es uns einflößte, verschwand doch neben dem Medaillon, weil wir von der Frage nicht los konnten: »Was steckt eigentlich darin? Ist es sein Bildnis oder ist es ein Schnitzelchen von seinem Haar?« Von Locke konnte nicht wohl gesprochen werden. Aber was es auch sein mochte, ein Liebeszeichen war es gewiß, und wenn wir dann wieder etwas von Suleika hörten, so folgten wir freudiger und geduldiger und suchten nach Ähnlichkeiten zwischen der Schönheit aus dem Osten und der Pastorentochter aus der Ost-Priegnitz. Übrigens wolle man aus dem Pastellbilde am Fußende des Bettes nicht schließen, daß Dr. Lau von einer gekünstelt heraufgeschraubten Gefühlsbeschaffenheit gewesen wäre, ganz im Gegenteil. Er war von durchaus gesundem Sinn, und wenn ich mich eines literarischen Vorgangs erinnere, darin ich mit neun oder zehn Jahren die Hauptrolle spielte, so muß ich meinen guten Dr. Lau sogar einen Realisten nennen. Dies kam so. Meines Vaters Geburtstag stand bevor, und ich hatte die Pflicht, auf einem liniierten Briefbogen – schon die bloße Liniierung war ein Schrecknis – meine Glückwünsche niederzuschreiben. Ich durfte dies in einer Schulstunde tun, während welcher Lau Exerzitienhefte korrigierte. Mit einem Male sagte er: »Nun gib her.«
Ich hatte aber mit meinem Geburtstagsbriefe noch gar nicht angefangen, sondern mich bis dahin darauf beschränkt, allerlei Reime auf ein neben mir liegendes Blatt zu kritzeln, halber Unsinn, der nicht viel was andres war als der Ausdruck meiner Verzweiflung. Ich wußte nicht, was ich schreiben sollte, der berühmte Anfang wollte sich nicht finden lassen, und so schob ich denn mit Hilfe dieser Spielerei das, um was es sich eigentlich handelte, nur hinaus. Verlegen reichte ich das bekritzelte Blatt hinüber, und Lau, nachdem er seine Brille geputzt, begann zu lesen:
Lieber Vater,
Du bist kein Kater.
Du bist ein Mann,
Der nichts Fettes vertragen kann;
Doch von den Russen hörst Du gern,
Wie sie den Polen den Weg versperrn etc. …
In solcher Reimerei, drin ich von Zeile zu Zeile sozusagen lapidar gegenüberstellte, was mein Vater sei und nicht sei, was er möge und nicht möge, ging es weiter zwei Seiten lang. Als Dr. Lau damit durch war, schlug er auf den Tisch und sagte: »Das ist gut, das wollen wir nehmen; darüber wird sich dein Vater freuen. Nur das mit dem Kater müssen wir fortlassen.« Und den Anfang durchstreichend, schrieb er statt dessen: »Lieber Vater, Du Stadtberater.« Denn mein Vater war kurz vorher Senator oder Mitglied des Magistrats geworden, dessen Sitzungen er, bei großer Abneigung gegen dergleichen, natürlich nie beiwohnte. Auch diesen Zug hab ich von ihm geerbt. Lau blieb zwei Jahre
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