Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Schillers Gedichte vor mir, und lernte »Das Eleusische Fest«. Unten klimperte wer auf dem Klavier. Als es endlich schwieg, hörte ich den von einem asthmatischen Pusten begleiteten Schritt meines Vaters auf der Treppe, und nicht lange mehr, so stand er vor mir, übrigens zunächst weniger mit mir als mit den zwei Schneestreifen beschäftigt. Er schob denn auch, eh er sich zu mir wandte, den Schnee mit der Sohlenkante zusammen und sagte dann erst: »Ich begreife nicht, warum du hier sitzest.«
»Ich lerne.«
»Was?«
»Das Eleusische Fest.«
»Nun, das ist gut. Aber du siehst aus, als ob du keine rechte Freude daran hättest. Ohne Freude geht es nicht, ohne Freude geht nichts in der Welt. Von wem ist es denn?«
»Von Schiller.«
»Von Schiller. Nu, höre, dann bitt ich mir aus, daß du Ernst mit der Sache machst. Schiller ist der Erste. Wie lang is es denn?«
»Siebenundzwanzig Verse.«
»Hm. Aber wenn es von Schiller ist, ist es gleich, ob es lang oder kurz ist. Es muß runter.«
»Ach, Papa, die Länge, das is es ja nicht. Der Kampf mit dem Drachen ist noch länger, und ich habe es in der letzten Stunde, die wir hatten, doch hergesagt.«
»Nun, was ist es dann?«
»Es ist so schwer. Ich versteh es nicht.«
»Unsinn. Das ist bloß Faulheit. Gewiß, es gibt Dichter, die man nicht verstehen kann. Aber Schiller! Gang nach dem Eisenhammer, Bürgschaft, Kraniche des Ibykus, da kann man mit. ›Und in Poseidons Fichtenhain Tritt er mit frommem Schauder ein‹ – das kann jeder verstehn und war immer meine Lieblingsstelle. Natürlich muß man wissen, wer Poseidon ist.«
»Ja, das geht, und Poseidon kenn ich. Und die, die du da nennst, die hab ich auch alle gelernt. Aber das Eleusische Fest, das kann ich nicht. Ich weiß nicht, was es heißt, und weiß auch nicht, was es bedeutet, und ich weiß auch nicht, gleich zu Anfang, welche Königin einzieht.«
»Das ist auch nicht nötig. Du wirst doch verstehn, daß eine Königin einzieht. Welche er meint, ist am Ende gleichgültig. Es ist ein Ausdruck für etwas Hohes.«
»Und in dem zweiten Verse heißt es dann: ›Und in des Gebirges Klüften barg der Troglodyte sich‹. Was ist ein Troglodyte?«
»Nun, das ist ein griechisches Wort und wird wohl Leute bezeichnen, die einen Kropf haben oder irgend so was. An solcher einzelnen Unklarheit kann das Ganze nicht scheitern. Also strenge dich an …«
Er hätte mir wohl noch weitere Lehren gegeben, wenn nicht in diesem Augenblicke zu Tische gerufen wäre. »Nun komm nur. Es heißt zwar plenus venter …, aber du wirst schon darüber hinkommen.«
Ich kam nicht darüber hin und habe das Eleusische Fest nicht auswendig gelernt, weder damals noch später. Aber so viel bin ich dem Lotsenkommandeurssohn doch schuldig, das Eleusische Fest bedeutete nur den Ausnahmefall und kann die Tatsache nicht aus der Welt schaffen, daß ich ihm und nur ihm allein die Totalkenntnis der Schillerschen Balladen verdanke. General v. d. Marwitz erzählt einmal in seinen Memoiren, daß er einen Hauslehrer gehabt, der aus einem kleinen Buche von höchstens hundert Seiten Weltgeschichte vorgetragen habe; nach dem Vortrage ließ er dann seinen Zögling ein paar Seiten auswendig lernen, und wenn er mit dem Buche durch war, begann das Auswendiglernen von Seite 1 an von neuem. Marwitz setzt hinzu: »Dieser Lehrer war beschränkt und bequem, aber ich verdanke ihm in bezug auf historische Fakten und Zahlen eine Überlegenheit über alle Personen, auch die klügsten mit einbegriffen, mit denen ich in meinem langen Leben in Berührung gekommen bin. Keiner wußte so sicher wie ich, in welchem Jahre die Schlacht bei Crécy oder bei Granson oder bei Lepanto gewesen war.«
Ostern 31 war endlich ein neuer Hauslehrer da, so daß die Stunden im kommerzienrätlichen Hause wieder ihren Anfang nehmen konnten. Der Neuengagierte hieß Dr. Philippi und kam aus Hamburg. Er war aus einem großen Hause, sehr gebildet und von weltmännischen Manieren. Das war das Gute, das er mitbrachte; zugleich aber gab ihm sein Hamburgertum, sein Vertrautsein mit den Formen einer wirklich reichen und vornehmen Kaufmannswelt, ein bis zu Dünkel und Unart sich steigerndes Selbst- und Überlegenheitsgefühl, das ihm von Anfang an seine Stellung verdarb. In der Stadt gewiß und fast auch in dem liebenswürdigen Hause, dem er als Mitglied angehörte. Dr. Lau, wie hervorgehoben, hatte auch etwas von diesem Selbst- und Überlegenheitsgefühl gehabt, aber in ganz andrer Art.
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