Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Und weißt du auch, wie man ihn ehrte, als er schon tot war?«
»Gewiß.«
»Dann sage mir, wie es war.«
»Ja, dann mußt du aber erst aufstehen, Papa, und Flügelmann sein; sonst geht es nicht.«
Und nun stand er auch wirklich von seinem Sofaplatz auf und stellte sich als Flügelmann der alten Garde militärisch vor mich hin, während ich selbst, Knirps der ich war, die Rolle des appellabnehmenden Offiziers spielte. Und nun, aufrufend, begann ich:
»Latour d’Auvergne!«
»Il n’est pas ici«, antwortete mein Vater in tiefstem Baß.
»Où est-il donc?«
»Il est mort sur le champ d’honneur.«
Es kam vor, daß meine Mutter diesen eigenartigen Unterrichtsstunden beiwohnte – nur das mit Latour d’Auvergne wagten wir nicht in ihrer Gegenwart – und bei der Gelegenheit durch ihr Mienenspiel zu verstehen gab, daß sie diese ganze Form des Unterrichts, die mein Vater mit einem unnachahmlichen Gesichtsausdruck seine »sokratische Methode« nannte, höchst zweifelhaft finde. Sie hatte aber in ihrer in diesem Stück und auch sonst noch ganz konventionellen Natur total unrecht, denn, um es noch einmal zu sagen, ich verdanke diesen Unterrichtsstunden wie den daran anknüpfenden gleichartigen Gesprächen eigentlich alles Beste, jedenfalls alles Brauchbarste, was ich weiß. Von dem, was mir mein Vater beizubringen verstand, ist mir nichts verlorengegangen und auch nichts unnütz für mich gewesen. Nicht bloß gesellschaftlich sind mir in einem langen Leben diese Geschichten hundertfach zugute gekommen, auch bei meinen Schreibereien waren sie mir immer wie ein Schatzkästlein zur Hand, und wenn ich gefragt würde, welchem Lehrer ich mich so recht eigentlich zu Dank verpflichtet fühle, so würde ich antworten müssen: meinem Vater, meinem Vater, der sozusagen gar nichts wußte, mich aber mit dem aus Zeitungen und Journalen aufgepickten und über alle möglichen Themata sich verbreitenden Anekdotenreichtum unendlich viel mehr unterstützt hat als alle meine Gymnasial-und Realschullehrer zusammengenommen. Was die mir geboten, auch wenn es gut war, ist so ziemlich wieder von mir abgefallen, die Geschichten von Ney und Rapp aber sind mir bis diese Stunde geblieben.
Diese, so sehr ich mich ihr verpflichtet fühle, doch immerhin etwas sonderbare väterliche Lehrmethode, der alles Konsequente und Logische fehlte, würde, da meine Mutter nur eben die Schwächen und nicht die Vorzüge derselben erkannte, sehr wahrscheinlich zu heftigen Streitigkeiten zwischen den beiden Eltern geführt haben, wenn meine kritikübende Mama dem Ganzen überhaupt eine tiefere Bedeutung beigelegt hätte. Das war aber nicht der Fall. Sie fand nur, daß meines Vaters Lehrart etwas vom Üblichen völlig Abweichendes sei, wobei nicht viel Reelles, das heißt nicht viel Examenfähiges herauskommen würde, worin sie auch vollkommen recht hatte. Da ihr selber aber alles Wissen sehr wenig galt, so belächelte sie zwar die »sokratische Methode«, sah aber keinen Grund, sich ernsthaft darüber zu ereifern. Es kam ihrer aufrichtigsten Überzeugung nach im Leben auf ganz andere Dinge an als auf Wissen oder gar Gelehrsamkeit, und diese anderen Dinge hießen: gutes Aussehen und gute Manieren. Daß ihre Kinder sämtlich gut aussähen, war eine Art Glaubensartikel bei ihr, und daß sie gute Manieren entweder schon hätten oder sich aneignen würden, betrachtete sie als eine natürliche Folge des guten Aussehens. Es kam also nur dar auf an, sich vorteilhaft zu präsentieren. Ernste Studien erschienen ihr nicht als Mittel, sondern umgekehrt als Hindernis zum Glück, zu wirklichem Glück, das sie von Besitz und Vermögen als unzertrennlich ansah. Ein Hunderttausendtalermann war etwas, und sie hatte Respekt und selbst Ehren für ihn, während ihr Gerichtspräsidenten und Konsistorialräte nur wenig imponierten und ihr noch weniger imponierend erschienen wären, wenn nicht im Hintergrunde das von ihr respektierte »Staatliche« gestanden hätte. Sie war unfähig, sich vor einer sogenannten geistigen Autorität in gutem Glauben zu beugen, nicht weil sie von sich selbst eine hohe Meinung gehabt hätte (sie war im Gegenteil völlig ohne Eitelkeit und Einbildungen), sondern nur weil sie, wie sie nun mal war, auf dem praktischen Gebiete des Lebens – und die nicht praktischen Gebiete kamen für sie gar nicht in Betracht – eine Macht des Wissens oder gar der Gelehrsamkeit nicht anerkennen konnte. Ich erinnere mich noch der Zeit, wo seitens beider Eltern,
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