Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Beides blieb jedoch aus. Was aber nicht ausblieb, das war, daß wir inzwischen in die Strömung hineingeraten waren und, von dieser gefaßt und getrieben, uns mit einem Male zwischen den Molendämmen sahen. Und nun erfaßte mich eine furchtbare Angst. Ging das so weiter, so waren wir in zehn Minuten draußen und konnten dann auf Bornholm und die schwedische Küste zufahren. Es war eine ganz verteufelte Situation, und wir griffen zuletzt zu dem wenigst tapferen, aber doch schließlich verständigsten Mittel und begannen, ungeheuer zu schreien, zugleich winkend und schwenkend, und erwiesen uns überhaupt als geradezu erfinderisch in Notsignalen. Endlich wurden wir von einigen auf der Westmole stehenden Lotsen bemerkt, die nun mit dem Finger drohten, aber doch auch vergnüglich dreinschauend uns schließlich ein Tau zuwarfen. Und damit waren wir aus der Gefahr heraus. Einer der Lotsen kannte mich, weil sein Junge zu meinen Spielgefährten gehörte. Das machte denn auch wohl, daß wir mit ein paar nicht allzu schlimmen Ehrentiteln davonkamen. Ich nahm meine Kanone unter den Arm und hatte noch die Befriedigung, sie bewundert zu sehen. Dann ging ich nach Hause, nachdem ich versprochen hatte, Hans Ketelböter, einen großen Schiffersjungen, der ganz in unsrer Nähe wohnte, hinauszuschicken, um das inzwischen an einem Pfahl befestigte Boot zurückzurudern. – Dies war unter den Wasserfährlichkeiten die aparteste, aber keineswegs die gefährlichste. Die gefährlichste war zugleich die alleralltäglichste, weil beim Baden in der See beständig wiederkehrende. Wer die Ostseebäder kennt, kennt auch die sogenannten »Reffs«. Es werden darunter die hundert oder zweihundert Schritt in See hinein, parallel mit dem Ufer laufenden und oft nur von wenig Wasser überspülten Sandstreifen verstanden, auf denen die Badenden, wenn sie die zwischenliegenden tiefen Stellen passiert haben, wieder ausruhen können. Und damit sie genau wissen, wo diese Stellen sind, sind rote Fähnchen auf diesen Sandriffen angebracht. Hier lag nun für mich die tägliche Verführung. War es still und alles normal, so reichten meine Schwimmkünste gerade aus, glücklich über die tiefen Stellen wegzukommen und das zunächst gelegene Reff zu erreichen, lag es aber minder günstig oder ließ ich mich wohl gar aus Zufall zu früh nieder, so daß ich keinen festen Grund unter den Füßen hatte, so war auch der Schreck und mitunter die Todesangst da. Glücklich bin ich jederzeit herausgekommen. Aber nicht durch mich. Kraft und Hilfe kamen von woanders her.
Eine weitere Wassergefahr, die zu bestehen mir noch beschieden war, hatte nichts mit der See zu tun, sondern spielte sich auf dem Strom ab, dicht am Bollwerk, keine fünfhundert Schritt von unserm Hause. Davon erzähle ich auch noch in diesem Kapitel, aber zuvörderst schiebe ich hier ein anderes kleines Vorkommnis ein, bei dem kein Engel zu helfen brauchte.
Schwimmen konnte ich nicht recht und steuern und rudern auch nicht; zu den Dingen aber, auf die ich mich gut, ja sehr gut verstand, gehörte das Stelzenlaufen. Unserer Familientradition nach stammen wir, wie erzählt, aus der Gegend von Montpellier, während ich persönlich meinem virtuosen Stelzenlaufen nach eigentlich aus den Landes stammen müßte, wo die Menschen wie mit ihren Stelzen verwachsen sind und diese kaum abschnallen, wenn sie sich zur Ruhe legen. Also kurz und gut, ich war ein brillanter Stelzenläufer und hatte vor denen in der westlichen Garonnegegend, wo die sehr niedrigen »échasses« zu Hause sind, noch das voraus, daß ich den Kothurn nicht hoch genug kriegen konnte, denn die an der Innenseite meiner Stelzen befestigten Holzklötzchen saßen wohl drei Fuß hoch. Und nun unter Anlauf und gleichzeitiger Schräglegung und Einstemmung der beiden Stangen brachte ich es dahin, mich mit Sicherheit auf die Stelzenklötze hinaufschwingen und sofort meinen Riesenschritt antreten zu können. Für gewöhnlich war das nichts als eine brotlose Kunst, aber ein paarmal hatte ich doch Vorteil davon, indem ich mich mit Hilfe meiner Stelzen einem sich über mir zusammenziehenden Gewitter entziehen konnte. Das war in den Tagen, als Hauptmann Ferber, der bis dahin bei den »Neufchatellern« gestanden, sich als Pensionär nach Swinemünde zurückgezogen hatte.
Ferber, den die Swinemünder um seiner Neufchatellerschaft willen französierten und Teinturier nannten, war aus sehr guter Familie, wenn ich nicht irre, Sohn eines hohen Beamten im
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