Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
nicht mehr aus. Ich war nicht eigentlich wild und wagehalsig, und alle meine Kunststücke, die mir als etwas Derartiges angerechnet wurden, geschahen immer nur in kluger Abmessung meiner Kräfte, trotzdem hab ich, im Rückblick auf jene Zeit, das Gefühl eines beständigen Gerettetwordenseins, ein Gefühl, in dem ich mich auch schwerlich irre. Denn, als ich mit zwölf Jahren aus dem elterlichen Hause kam, in einem Alter also, wo die Fährlichkeiten recht eigentlich erst zu beginnen pflegen, wird es mit einem Male ganz anders, so sehr, daß es mir vorkommt, als habe mein Engel von jenem Zeitpunkt ab wie Ferien gehabt; alle Gefahren hören entweder ganz auf oder schrumpfen doch so zusammen, daß sie mir keinen Eindruck hinterlassen haben. Es muß also, bei dem Dichtnebeneinanderliegen dieser Zeitläufte, doch wohl ein Unterschied gewesen sein, der mir so ganz verschiedene Gefühle zurückgelassen hat.
Aus sogenannten Schlüsselbüchsen schießen, war ein Hauptvergnügen. Es wird solche Schlüsselbüchsen unter Großstadtskindern kaum noch geben, und deshalb möcht ich sie hier beschreiben dürfen. Es waren Hohlschlüssel von ganz dünner Wandung, also sozusagen mit ungeheurer Seele, womit die Wäschetruhen und namentlich die Truhen der Dienstmädchen zugeschlossen wurden. Solche Schlüssel uns anzueignen, war unser beständiges Bemühen, worin wir bis zur Piraterie gingen. Wehe dem armen Dienstmädchen, das den Schlüssel abzuziehen vergaß – sie sah ihn nie wieder. Wir bemächtigten uns seiner, und durch die einfache Prozedur eines Zündlocheinfeilens war nun die Schußwaffe hergestellt. Da diese Schlüssel immer rostig, mitunter auch schon ausgesplittert waren, so war es nichts Seltenes, daß sie sprangen; wir kamen aber immer heil davon. Der Engel half.
Ungleich gefährlicher waren die beständig geübten Feuerwerkskünste. Ich hatte mich mit Hilfe von Schwefel und Salpeter, die wir in der Apotheke bequem zur Hand hatten, zu einem vollständigen Pyrotechniker herangebildet, dabei von meiner Papp- und Kleisterkunst sehr wesentlich unterstützt. Alle Sorten von Hülsen werden mit Leichtigkeit hergestellt, und so entstanden Sonnen, Feuerräder und pot à feu’s. Oft weigerten sich diese Schöpfungen, ihre ihnen zugemutete Schuldigkeit zu tun, und wir warfen sie dann zusammen und zündeten den ganzen Haufen mißglückter Herrlichkeit mit einem Schwefelfaden an, abwartend, was draus werden würde. All das war ziemlich gefahrlos. Desto gefahrvoller für uns war aber das, was in der Pyrotechnik als das einfachste und niedrigststehende Produkt gilt und auch von uns so angesehen wurde: der Schwärmer. Dieser, wenn ich die Mischung verfehlt haben mochte, wollte häufig nicht recht brennen, was mich immer sehr verdroß. Wenn sich ein Feuerrad zu drehen weigerte, nun, das ging allenfalls; ein Feuerrad war eine vergleichsweise künstliche Sache; ein Schwärmer aber mußte brennen, und wenn er trotzdem nicht wollte, war das eine Schändlichkeit, die man nicht hinnehmen durfte. So bückte ich mich denn über die in einen Sandhaufen gesteckten Hülsen und begann zu pusten, um dem erlöschenden Zündschwamm neues Leben zu geben. Erlosch er dabei völlig, so war das eigentlich das Beste, ging es aber plötzlich los, so wurde mir das Haar versengt oder die Stirn verbrannt. Schlimmeres kam nicht vor. Der Engel schützte mich eben mit seinem Schild.
Das war das Element des Feuers. Aber auch mit dem Wasser machten wir uns zu schaffen, was in einer Seestadt nicht wundernehmen durfte.
Herbst 31 war mir von einem Berliner Anverwandten eine Kanone als Geschenk verehrt worden, nicht etwa ein gewöhnliches Kinderspielzeug, wie man es beim ersten besten Kupferschmied oder Zinngießer kaufen kann, sondern eine sogenannte Modellkanone, wie man ihnen nur in Zeughäusern begegnet – ein wahres Prachtstück an Schönheit und Eleganz, die Lafette fest und sauber, das Geschützrohr blitzblank und wohl fast anderthalb Fuß lang. Ich war selig und beschloß alsbald, zu einem Bombardement von Swinemünde zu schreiten. Zwei Jungens meines Alters und mein jüngerer Bruder bestiegen mit mir ein an »Klempins Klapp« liegendes Boot, und nun fuhren wir, die Kanone vorn am Steven, flußabwärts. Als wir etwa in Höhe des Gesellschaftshauses waren, hielt ich die Zeit zum Beginn der Beschießung für gekommen und gab drei Schuß ab, bei jedem Schuß abwartend, ob wir vom Bollwerk aus beobachtet und in dem Ernst unsres Tuns gewürdigt würden.
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