Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
Vom Netzwerk:
Steinpfeiler wurden zu weißgetünchten Holzsäulen, um die grüne Girlanden gewunden waren. Und auch die Frauen waren nicht mehr dieselben, andere waren es, sommerlich gekleidete mit Blumen im Haar, und alle folgten einem voranschreitenden Paare, das er nicht erkennen konnte, denn er schritt hinterher, und erst, als er den Altar erreicht hatte, vor dem ein Grabstein lag, sah er, daß er es selber war, der an dieser Stelle getraut werden sollte. Aber er wußte nicht mit wem, denn die Braut war über und über in einen weißen Schleier gehüllt, und auf dem weißen Schleier leuchteten goldene Sterne.
    Als nun aber die Orgel schwieg und der Geistliche nach dem »Ja« fragte, da schlug die Braut den Schleier zurück, und statt des »Ja«, das ihm auf der Lippe war, sagte er: »Marie«.
    Er hatte das Wort laut gesprochen und fuhr auf, als ob er eine schwindende Erscheinung festhalten wolle. Wo war er? Er sah den Sternenhimmel und fühlte den von seinem eigenen Atem feucht und eisig gewordenen Mantelkragen. Und allmählich stieg die ganze furchtbare Wirklichkeit vor ihm herauf, und er lauschte, ob er nicht schon den Tritt eines ihn abholenden Wachkommandos hören könne. Wußte er doch, daß die Morgendämmerung die Zeit für solche Szenen sei.
    Aber was war die Stunde? Er griff nach der Uhr und ließ sie repetieren. Fünf. Das war noch zu früh; es konnte nicht vor sechs geschehen. Also noch eine Stunde Leben, aber auch noch eine Stunde Tod, und er wünschte sich die Minuten weg, um Gewißheit zu haben. Das letzte, das Schreckliche konnte nicht so schrecklich sein wie diese Qual. Er sprang auf, öffnete das Fenster und sog begierig die Nachtluft ein, aber umsonst; er sah alles, wie es kommen mußte, und rief Gott an, nicht mehr um sein Leben, das war hin, sondern um Kraft in seiner letzten Stunde. »Nur nicht gemein aus diesem Leben gehen!« Und dann sah er wieder nach Hohen-Vietz hinüber, nach dem Fleckchen Erde, das ihm vor allem teuer war, und er winkte und grüßte mit der Hand. »Lebt wohl, all ihr Geliebten.«
    In diesem Augenblicke schoß ein Lichtstrahl am östlichen Himmel auf und verschwand wieder. Es war der erste Bote, den der Tag sendet, lange bevor er selber mit seinem goldnen Wagen heraufzieht. »Soll es mir ein Zeichen sein?«
    Und er wurde ruhiger.
    Sechs Uhr. Der Tritt keines Wachkommandos wurde draußen hörbar, und so festigte sich in ihm die Überzeugung, daß er wenigstens diesen Tag noch zu leben haben werde. Und ein Tag war viel; was konnte dieser eine Tag nicht alles bringen? Und er sprach wieder die Strophe vor sich hin, die schon einmal in allertrübster Stimmung ihn aufgerichtet hatte:
    »Hoffe, harre; nicht vergebens
    Zählest du der Stunden Schlag,
    Wechsel ist das Los des Lebens,
    Und es kommt ein andrer Tag.«
    Ja, ja, hoffe, harre. Ein Tag noch, ein ganzer Tag noch! Und dieser Tag lag jetzt vor ihm wie das Leben selbst, und er sah ihm entgegen, als ob er ihm eine Welt von Ereignissen bringen müsse.
    Was er ihm aber zunächst brachte, war nur wieder der Chasseur, dessen ohnehin unsoldatischer Aufzug durch einen an seinem linken Arm hängenden Deckelkorb noch gesteigert wurde. »Bon jour, monsieur de Vietzewitz. Pardon, si ce n’est pas tout-à-fait correct. Mais votre nom, c’est un nom difficile.«
    Lewin bestätigte.
    »Voici votre café. Un bon café, sans doute. Cela veut dire: de la chicorée! Mais qu’importe! c’est un café allemand.«
    Unter diesen und anderen Worten (denn er zählte zu den Schwatzhaften) hatte der Chasseur den Deckelkorb geöffnet und den braunen Bunzlauer Topf auf das Fensterbrett gesetzt, unterließ auch nicht, Schwarzbrot und ein paar frischgebackene Semmeln hinzuzulegen. Dann hing er statt des Korbes die große Laterne, die vom Abend vorher noch da war, an seinen Arm und empfahl sich mit einem halb spöttischen: »Votre serviteur.«
    Lewin war froh, wieder allein zu sein, rückte den Stuhl an das Fenster und nahm sein Frühstück. Es schmeckte leidlich, und als er damit geendigt, lehnte er sich zurück und sah, aufatmend und neu belebt, in den glühenden Sonnenball, der eben die vor ihm liegende Göritzer Kirchturmspitze vergoldete.
    »Nun will ich lesen.« Und damit nahm er die Bibel und schlug auf: »Prophet Daniel!« Ein Lächeln überflog seine Züge, und er sagte vor sich hin: »Nein, nicht Daniel. Jeder in meiner Lage bildet sich ein, in der Löwengrube zu sein.« Und er blätterte weiter, bis er an die Makkabäer, und dann wieder zurück, bis er

Weitere Kostenlose Bücher