Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
und leider auch für unsre damaligen Gesamtzustände – die große Nachricht mitgebracht, »daß das Annähen eines Knopfes einen Schilling koste«. Da hatte man den Weltreisenden, der über einen Sechser nicht fortkonnte. Paris, London, Italien! Sein eigentlichstes Tummelfeld aber war die Schweiz. Hier bestieg er Berge bis zu 6000 Fuß und kam davon mit einer Siegermiene zurück, als habe sich etwas Ungeheuerliches zugetragen. Zu dieser Einbildung war er nun freilich bis zu einem gewissen Grade berechtigt; er litt nämlich, weil er kurzhalsig und ein Asthmatiker war, unter »Rigi« und »Schyniger Platte« ganz so, wie wenn er den Popokatepetl erstiegen hätte, und unterzog sich dieser Unbequemlichkeit auch nur deshalb, weil er nur so seine zweite, größere und weit über die Reiserei hinausgehende Leidenschaft zu befriedigen vermochte, die: vor einem aus jungen und zum Teil recht hübschen Professorenfrauen zusammengesetzten Kreise seine Reisevorträge halten zu können. Er war dann, den ganzen Tag über, in einer höchsten Aufregung, schnaufte durchs ganze Haus hin – wie denn Schnaufen überhaupt eine Haupteigenschaft von ihm war – und schleppte dabei Reliefkarten und illustrierte Werke vier Treppen hoch auf einen kleinen achteckigen Turm hinauf, der, ganz oben, mit einem mit vielen bunten Aussichtsglasscheiben reich ornamentierten Zimmer abschloß. Stieg man dann, und zwar durch eine aufzuklappende Lukentür, noch etwas höher hinauf, so hatte man, von einer umgitterten Plattform aus, einen wundervollen Überblick über Alt-Berlin. In diesem Turmzimmer, das nach Alchimie und Astrologie, nach Faust und Seni schmeckte, versammelten sich die zur Vorlesung geladenen Damen, und ich sage schwerlich zuviel, wenn ich ausspreche, daß der alte Rose in diesem Allerheiligsten die glücklichsten Stunden seines Daseins verbracht habe. Daß die Damen von einem gleichen Glücksgefühl erfüllt gewesen wären, möchte ich bezweifeln, weil der Vortragende, in Verkennung seiner Gaben, auch allerlei Witziges und Humoristisches einzustreuen liebte, will also sagen grade das , was ihm, neben Grazie, die Natur am meisten versagt hatte.
Dies alles klingt nun ein wenig lieblos und ist insoweit auch unverdient, als mein Lehrherr, gemessen an der Mehrzahl seiner Kollegen, immer noch von einer gewissen Überlegenheit war; in einem allerwichtigsten Punkt aber war er doch wirklich um ein erkleckliches schlimmer als diese. Das war, wie schon angedeutet, die tief eingewurzelte Vorstellung von seiner sittlichen Potenz, eine Vorstellung, deren ungewöhnliches Höhenmaß nur noch von ihrer Unberechtigtheit übertroffen wurde.
Soviel über König Artus selbst, woran ich zunächst nur noch ein Wort über seine Tafelrunde, will sagen seine Gehülfen und Lehrlinge, zu knüpfen habe. Diese letztren, die Lehrlinge also, waren – was sich auch später, in andren Offizinen, immer wiederholte – allerliebste junge Leute, frisch, gescheit, talentvoll, aus denen, ausnahmslos, auch was geworden ist. Daß dem so sein konnte, lag daran, daß sie sämtlich aus guten Häusern stammten, also die berühmte »gute Kinderstube« gehabt hatten. Die Bedeutung davon ist meist entscheidend fürs Leben und gar nicht hoch genug zu veranschlagen. Die altpreußische Redensart »Je ärmer, je besser« ist eine Torheit. Gäbe es eine einfache Armut, eine Armut an sich, so ließe sich über den Wert des bloßen Entbehrenlernens streiten; aber den von der landesüblichen Armut unzertrennlichen Druck, diesen und seine Wirkung – ein paar Kraftnaturen natürlich abgerechnet – werden die Durchschnittmenschen nicht wieder los. Und deshalb waren denn auch die Gehülfen ein vorwiegend minderwertiges Material, weil sie meist aus kleinen elenden Verhältnissen herkamen. Sie katzbuckelten und setzten sich dann zur Entschädigung aufs hohe Pferd, wo sie’s irgendwie glaubten riskieren zu können. Scheiterten sie auch damit, so blieb ihnen immer noch das Intrigieren. Die besten waren deshalb in der Regel die, die sich schon der Karikatur näherten, und wenn sie nicht die besten waren, so waren sie doch jedenfalls die interessantesten. Unter diesen stand mein Freund Martin Döring obenan. Er war, eh er Apotheker wurde, mehrere Jahre lang in Wiesbaden oder Biebrich Soldat gewesen, weshalb wir ihn »unsren Nassau-Usinger« nannten. Er hatte ganz die Haltung eines kleinstaatlichen Unteroffiziers aus dem vorigen Jahrhundert, gradlinig und steif wie ein Ladestock, langer Rock,
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