Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Belle-Alliance-Platz – war ein Ausbund von Keckheit und Ausgelassenheit, worin er nur noch von seinem ältren Kollegen, einem Roseschen Neffen, übertroffen wurde. Mit diesem zusammen hatte Falkenberg, in Tagen und Wochen, wo sie gemeinschaftlich den Nachtdienst hatten, die ganze Spandauer-Straßen-Gegend devastiert und auf den Kopf gestellt, und zwar dadurch, daß sie, der eine mit einer kleinen festen Leiter, der andre mit allerlei Handwerkszeug ausgerüstet, überall die Geschäftsbilder abbrachen und diese vertauschten , so daß, wo beispielsweise »Pastor Berduscheck« wohnte, den Tag darauf »Hebamme Mittermeier« zu lesen war und umgekehrt. Wie sich denken läßt, kam es ihnen bei diesem Treiben darauf an, sich in Anzüglichkeiten zu überbieten. Mitunter aber scheiterten sie, wenn sie vor einem plötzlich sichtbar werdenden Nachtwächter die Flucht ergreifen mußten; in solchem Falle nahmen sie dann die bereits abgerissenen, aber noch nicht umgetauschten Schilder einfach als gute Prise mit nach Hause. Diese Prisenstücke hatten sich, wie sich denken läßt, im Laufe zweier Jahre zu einem förmlichen, in einem Kohlenkeller untergebrachten Museum erweitert. Da standen und lagen sie, verstaubt und vergessen, bis der endliche Abgang des vorgenannten Roseschen Neffen ihnen noch einmal zu einer fröhlichen Auferstehung verhalf. Falkenberg, dem Scheidenden ein Fest gebend, wandelte das gemeinschaftlich von ihnen bewohnte Zimmer in eine Art Ruhmeshalle um, drin all die geraubten Gegenstände – darunter namentlich Doktorklingeln mit der Aufschrift »Nachtglocke« sowie auch von Weißbier- und Budikerkellern abgebrochene »Genrestücke« – hoch aufgespeichert waren. Alle diese Spolia opima standen, lagen oder hingen umher, Tannengirlanden dazwischen, und, unter Absingung wehmutsvoller Lieder, gedachte man der schönen Räuberzeit, um auf immer Abschied von ihr zu nehmen.
Neben diesem Übermute verschwand natürlich mein Zauberfest, das, wenn ich nicht irre, in den Juli des Sommers vierzig fiel. Anfang September kam dann der alte Rose zurück. Ich seh’ ihn noch, wie er mit einem Male vor uns stand: der auf kurzem Halse sitzende Kopf in einer Schnurenkapuze – wie man ihnen auf alten Schweizer- oder Hussitenbildern begegnet –, dazu ganz verbrannt im Gesicht vom ewigen Bergklettern und die Augen leuchtend von Entdecker- und Erobererglück. Denn er hatte mal wieder an einer vor ihm noch unbetretenen Stelle gestanden oder bildete sich’s wenigstens ein.
Armer Enthusiast, dein Glück sollte nicht lange dauern! Gleich am andern Morgen durchschritt er sein Gewese, zog sich dann, als er den Rundgang beendet, in sein nur durch einen schmalen Flur von der Apotheke selbst getrenntes Zimmer zurück und wollte hier sehr wahrscheinlich gleich mit Aufzeichnung all der erlebten Herrlichkeiten beginnen. Aber das Schicksal hatte, für diesen Tag wenigstens, anders über ihn beschlossen. In seiner Abwesenheit nämlich war es, unter den Gehülfen, zu Bildung zweier feindlicher Parteien gekommen, die sich nun gegenseitig verklagten und mich mitschleppten, um ihnen nötigenfalls als Zeuge dienen zu können. Jede Partei trug denn auch ihre Sache vor, und der alte Rose hörte eine Weile ruhig zu, wenn man ein dampfmaschinenartiges Prusten und Schnauben ein ruhiges Zuhören nennen kann. Endlich aber unterbrach er die Zänkerei, weil er seinen Unmut nicht länger bezwingen konnte: »Meine Herren… ich bitte Sie… haben Sie Mitleid mit einem alten Manne. Haben Sie denn kein Gefühl für meine Lage…? Da war ich dritthalb Monat in einer großen Natur, ja, meine Herren, in einer sehr großen Natur, und nun komme ich zurück, erhoben in meinem Gemüt, erhoben und glücklich, und das erste, was ich hier hören muß, sind Ihre Nichtigkeiten, Ihre Kleinheiten, Ihre Jämmerlichkeiten. Oh, oh… Ich dächte, Sie hätten mehr Rücksicht auf mich nehmen können.«
Und so ging es noch eine Weile weiter.
Er hatte mit seiner »sittlichen Empörung« aber mal wieder total unrecht und erwies sich nur aufs neue als jener Bourgeois, als den ich ihn schon eingangs zu schildern versucht habe. Wie’s uns in den dritthalb Monaten ergangen war – gut genug, aber es konnte doch auch schlecht gewesen sein –, war ihm vollkommen gleichgültig; er fand es »kleinlich« und »elendiglich«, daß sich zwei Menschen gezankt hatten, nicht weil sie sich überhaupt gezankt, denn er konnte sich auch zanken, sondern lediglich, weil ihm dieser Zank unbequem
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