Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Berlin mit einer jener immer nach Juchtenleder riechenden alten Fahrposten. Gleich nach Mitternacht kamen wir in Oranienburg an, in dessen Passagierstube mir ein schlank aufgeschossener junger Mann von etwa fünfzehn Jahren auffiel, der für nichts andres Augen zu haben schien als für seine drei jüngeren Geschwister. Ich wurde sofort von einem Gefühl stärkster Zuneigung erfaßt und sagte mir: »Ja, so möchtest du sein! Ja, wenn du solchen Freund je haben könntest!« Aber wer beschreibt mein Staunen und Entzücken, als ich denselben jungen Menschen am andern Morgen in meiner Schulklasse vorfand. Er hatte bis dahin dem »Joachimsthal« angehört und sich erst ganz vor kurzem entschlossen, das Gymnasium mit der Gewerbeschule zu vertauschen, weil ihm alte Sprachen zu schwer wurden. Er war überhaupt von sehr mäßigen Anlagen, aber von einem ganz ausgezeichneten Charakter, fein, vornehm, treu, gütig. Leider auch ein wenig sentimental und dabei ganz Idealist, was verhängnisvoll für ihn wurde. Ziemlich spät, als er schon Mitte der Zwanzig sein mochte, begann er, sich der Landwirtschaft zu widmen, und ging zu diesem Behufe nach Schlesien, allwo er denn auch, nachdem er sich in höherem Mannesalter glücklich verheiratet hatte, gestorben ist. In den Jahren aber, die seiner Verheiratung weit vorausgingen, ging er durch schwere Prüfungen. Er hatte sich auf dem Gut, auf dem er die Landwirtschaft zu lernen begann, in ein Hofemädchen verliebt, so leidenschaftlich, so bis zum Sterben, daß er sie zu heiraten beschloß. Ihr ganz ungewöhnlicher Liebreiz, mit natürlicher Klugheit gepaart, ließ diesen Entschluß auch als verständig erscheinen. Er gab sie, nach Breslau hin, in Pension, um sie hier heranbilden zu lassen, und ersehnte den Tag ihrer Vereinigung. In den Sternen aber war es anders beschlossen; seine halb väterliche pädagogische Fürsorge, die es mit Bildung und Erziehung ganz ernst nahm, erschien dem reizenden Geschöpf alsbald nur langweilig und komisch, und so wandte sie sich andern Göttern zu. Das Verlöbnis mußte wieder gelöst werden, nachdem es ihm ein Stück seines besten Herzens gekostet hatte.
Sommer 1840 aber, um die Zeit, von der ich hier erzähle, standen diese schmerzlichen Ereignisse noch weit aus, und Fritz Esselbach erfreute sich froher, glücklicher Tage, die die natürliche Folge seiner großen Beliebtheit waren. Er war in mehr als einem Kreise heimisch und bewegte sich innerhalb der Finanz- und Beamtenwelt mit derselben Leichtigkeit wie innerhalb der Bourgeoisie. Gelegentlich nahm er mich in diese Kreise mit, und so kam es meinerseits zu Gastrollen.
Von einer dieser Gastrollen, und zwar einer innerhalb der Bourgeoisie gegebenen, spreche ich hier zuerst.
»Weißt du«, so hieß es eines Tages seinerseits, »du könntest mir eigentlich eine Polterabendrolle schreiben, und wenn du’s noch besser mit mir vorhast, so schreibst du dir selber auch eine und begleitest mich.«
»Wo ist es denn?«
»Es ist bei einem Hofschlächtermeister in der Klosterstraße. Dicht neben dem ›Grünen Baum‹.«
»O, das ist ja meine Gegend. Von da fahren ja immer unsre Ruppiner Hauderer ab. Ich bin nämlich mit Permission ein Ruppiner.«
»Nun gut; nimm das als einen Fingerzeig.«
Und wirklich, ich schrieb nicht bloß ihm , sondern auch mir eine Polterabendrolle. Von der seinigen weiß ich nichts mehr, die meinige aber war die eines ruppigen, den linken Fuß etwas nachziehenden und als Hochzeitsgeschenk eine Amor- und Psyche-Gruppe bringenden Gipsfigurenhändlers. Der Triumph war vollständig und größer, als ich ihn je wieder in meinem Leben erlebt habe. Daran denkt man gern zurück. Aber auch sonst noch war der Abend von großem Interesse für mich, denn ich habe mich damals zum ersten und zum letzten Male in einem wirklich reichen Alt-Berliner Bürgerhause bewegt. Ich empfing davon in jedem Anbetracht den allergünstigsten Eindruck. Daß es hoch herging, daß die Festräume von Lichtern und Gold und Silber glänzten, versteht sich von selbst, aber es ging zugleich auch ein völlig aristokratischer Zug durch das Ganze, der sich neben anderm ganz besonders darin aussprach, daß, bei freundlichstem Entgegenkommen, alles von einer gewissen Reserviertheit begleitet war. Wie’s innerhalb derselben Sphäre heutzutage steht, kann ich mit Sicherheit nicht angeben, aber ich möchte, nach Beobachtungen auf einigermaßen angrenzendem Gebiet, beinah glauben, daß wir seitdem keine sonderlichen Fortschritte
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