Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
und zu hohe Meinung von sich hemmten ihn in Geltendmachung seiner geistigen Anlagen.
Hermann Kriege war frei von Dichtung und blieb auch »immun«, trotzdem die Gefahr der Ansteckung sowohl seinem Umgange wie den Zeitläuften nach – Herwegh-Zeit – sehr groß war. Er war dadurch gefeit, daß er ganz und gar in der politisch-freiheitlichen Bewegung stand, mit der er’s ernsthaft nahm, und man wird ihm nachsagen müssen, daß er seine Sache mit seinem Leben bezahlt habe. Sein Wesen war immer von einer gewissen Feierlichkeit getragen. Einmal kamen die Hallenser und Leipziger Burschenschafter in Lützschena – halber Weg zwischen beiden Städten – zusammen, und ich durfte mit dabeisein. Kriege, ganz in pontificalibus, präsidierte. Sein schöner Kopf machte großen Eindruck auf mich, aber alles, was er sagte, desto weniger, trotzdem oder vielleicht auch, weil es nichts anderes war, als was aus meinen eigenen Freiheitsliedern schmetterte.
Bis Sommer 1842 war ich mit Kriege zusammen. Dann kam die Trennung, und nicht lange danach erfuhr ich, daß er, um sein Jahr abzudienen, in ein, wenn ich nicht irre, westfälisches Regiment eingetreten und dort durch Auflehnung oder vielleicht auch bloß durch Hervorkehrung seiner freiheitlichen Anschauungen in eine sehr üble Lage gekommen sei. Natürlich empörte mich das. Ich sah so etwas wie Märtyrertum in seinem Auftreten, das ich heute einfach als Dummheit bezeichnen würde, und gab meiner Empörung in forschen Reimzeilen Ausdruck. Überschrift: »An Hermann Kriege«. Dann hieß es:
Du kanntest nicht dies Institut der Stummen,
Die hohe Schule des Gendarmentroß,
Auf der ein freies Denken sich vermummen
Und unter Riegel halten muß und Schloß…
Und nun folgten vier Zeilen, in denen vom Apostel Paulus und sogar von Christus die Rede war, eine Stelle, die ich doch lieber weglasse. Zum Schluß aber hieß es dann weiter:
Sie haben dich dem Büttel übergeben,
Ja, deine Ehre schlug man an das Kreuz.
Feig, wie sie sind, blieb dir das nackte Leben,
Du schleppst es hin, doch keine Freude beut’s;
Gestempelt, du, zum Schelm und zum Verbrecher,
Dess’ Seele frei von jedem Makel ist,
Dein Bettgenoß ein Dieb vielleicht, ein Schächer,
Und alles nur, weil du kein Sklave bist.
Wie lange noch soll dieses Treiben währen,
Wie lange spielen wir »verkehrte Welt«?
Die Sklavenseele bettelt sich zu Ehren,
Und jede freie Männerseele fällt.
Trostlose Wüste streckt sich ohne Grenzen
Durch unser Land – und träumt an schatt’gem Ort
Je ein Oasenquell von künft’gen Lenzen,
So naht der Samum, und der Quell verdorrt.
Als Phrasengedicht ganz gut; ich komme weiterhin auf diesen heiklen Punkt zurück. Hier zunächst noch ein Wort über Kriege. Seine soldatischen Erlebnisse wurden wohl Grund und Ursache, daß er nach Absolvierung seiner Militärzeit den Staub von den Füßen schüttelte und nach Amerika ging. Ich weiß nicht mehr, in welcher Eigenschaft. Aber er war auch drüben kein vom Glück Begünstigter und ist, vom Fieber befallen, bald aus dieser Zeitlichkeit geschieden.
Dr. Georg Günther war an Wissen und Charakter der Bedeutendste. Wie Robert Binder, der geschäftlich sein Chef war, war er ein ausgesprochener Sachse, aber von der sehr entgegengesetzten Art; und wenn Robert Binder den Kaffeesachsen, also den sentimentalen sächsischen Typus vertrat, so Georg Günther den energischen , leidenschaftlichen, zornig verbitterten. In seinem, wenn ihn nichts reizte, klugen und freundlichen Auge funkelte was Unheimliches, und so verbindlich und selbst heiter er sein konnte, so merkte man doch gleich, daß er in jedem Augenblick bereit war, sich übers Schnupftuch zu schießen. Wer die Sachsen kennt, weiß, daß man sich zwischen diesen beiden gegensätzlichen Typen beständig hin und her bewegt. Doch ist die Günther-Type viel häufiger, was ein Glück ist. Daß die Sachsen sind, was sie sind, verdanken sie nicht ihrer »Gemütlichkeit«, sondern ihrer Energie. Dies Energische hat einen Beisatz von krankhafter Nervosität, ist aber trotzdem als Lebens- und Kraftäußerung größer als bei irgendeinem andern deutschen Stamm, selbst die Bayern nicht ausgenommen – die bayerische Energie ist nur derber. Die Sachsen sind überhaupt in ihrem ganzen Tun und Wesen noch lange nicht in der Art überholt, wie man sich’s hierzulande so vielfach einbildet. Und das hat seinen guten Grund, daß von ihrem »Überholtsein« keine Rede sein kann. Sie sind die Überlegenen, und
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