Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
in einem seiner Blätter geschickt hatte. Zu diesem Abdruck war es nicht gekommen, und schließlich waren die Gedichte mit nach Amerika hinübergewandert. Da hatt’ ich sie nun wieder. Daneben lag ein Kartenbillet, auf dem ich von meinem alten Freunde Günther begrüßt und nach Westend hinaus – wo er bei seinem Stiefsohn, einem wohlhabenden Kaufmann, wohnte – eingeladen wurde. Natürlich kam ich der Einladung nach und verbrachte draußen einen angenehmen und sehr interessanten Abend. Aber freilich, alles war wie verschleiert. Er suchte zu lächeln, ohne daß es ihm so recht gelang; er war ein gebrochener Mann. Und nicht allzu lange mehr, so wurde mir denn auch Mitteilung, daß er gestorben sei. Bei seiner Bestattung konnt’ ich leider nicht zugegen sein.
Er, der innerlich und äußerlich viel Umhergeworfene, ruht nun auf dem Charlottenburger Kirchhof.
Viertes Kapitel
Der Herwegh-Klub. Wilhelm Wolfsohn. Max Müller
Hermann Schauenburg, Hermann Kriege, Dr. Georg Günther, das waren die drei, mit denen mich der erste literarische Teeabend bei Robert Binder und Frau bekannt gemacht hatte. Diese drei waren aber nur ein Bruchteil eines literarischen Vereins, dessen geistiger Mittelpunkt Georg Herwegh war, weshalb ich denn auch diesen Leipziger Dichterverein als einen » Herwegh-Klub « bezeichnen möchte. In diesen Klub sah ich mich natürlich alsbald eingeführt und machte da die Bekanntschaft von einem Dutzend anderer Studenten, meistens Burschenschafter, einige schon von älterem Datum. Es waren folgende: Köhler (Ludwig), Prowe, Semisch oder Semig, Pritzel, Friedensburg, Dr. Cruziger, Dr. Wilhelm Wolfsohn, Max Müller. Alle haben in der kleinen oder großen Welt von sich reden gemacht. In der ganz großen Welt allerdings nur einer, der Letztgenannte. Ludwig Köhler war ein hübsches dichterisches Talent und beschloß seine Tage wohl in seiner thüringischen Heimat; Prowe wurde Gymnasialprofessor in Thorn und setzte sein Leben an die Beweisführung, daß Kopernikus kein Pole, sondern ein Deutscher gewesen sei; Dr. Pritzel – der Geistreichste und Witzigste des Kreises – war durch viele Jahre hin Bibliothekar an der Berliner Königlichen Bibliothek; Dr. Friedensburg, ein Bruder des späteren Oberbürgermeisters von Breslau, trat in den Staatsdienst über; Dr. Cruziger – in einem der reußischen oder Schwarzburger Fürstentümer zu Hause – brachte es in der stürmischen Zeit von 1848 bis zum Minister in seinem kleinen Heimatstaate. Verbleiben noch Wilhelm Wolfsohn und Max Müller, mit denen ich mich ausführlicher zu beschäftigen habe.
Wilhelm Wolfsohn war in bestimmter Richtung unter uns der Tonangebende. Georg Günther, der, um mehr als ein Dutzend Jahre älter, zugleich von allgemeinerer Bildung und größerer Welterfahrung war, wäre dazu der Berufenere gewesen, aber er war nicht direkt Klubmitglied und blieb, als guter Redakteur uns nur für sein Blatt und seine Zwecke benutzend, wohlweislich ein Draußenstehender. So fiel die Führerrolle dem Nächstbesten zu, was unzweifelhaft Wolfsohn war. Er hatte Literaturgeschichte zu seinem Studium gemacht. Das allein schon würde zur Besieglung seines Übergewichts ausgereicht haben; es stand ihm aber auch noch andres zu Gebote. Wir andern waren samt und sonders junge Leute von Durchschnittsallüren, Wolfsohn dagegen ein »feiner Herr«. Hätte nicht sein kluger, interessanter Kopf die jüdische Deszendenz bekundet, so würde man ihn für einen jungen Abbé gehalten haben; er verfügte ganz über die verbindlichen Formen und das überlegene Lächeln eines solchen, vor allem aber über die Handbewegungen. Er hatte zudem, was uns natürlich ebenfalls imponierte, schon allerhand ediert, unter andern ein Taschenbuch, das, unglaublich, aber wahr, eine Art christlich-jüdische Religionsunion anstrebte. Jedenfalls entsprach das seinem Wesen. Ausgleich, Umkleidung, nur keine Kanten und Ecken. In unseren Klubsitzungen, im Gegensatz zu Gesellschaftlichkeit und Außenverkehr, trat er nicht sonderlich hervor, auch nicht als Dichter. Natürlich war er wie wir alle für »Freiheit« – wie hätten wir sonst der Herwegh-Klub sein können –, aber er hielt Maß darin, wie in all und jedem. Seine Domäne war die Gesamtbelletristik der Deutschen, Franzosen und Russen. Rußland, wenn er uns Vortrag hielt, stand mir selbstverständlich jedesmal obenan, wobei ich mir sagte: » Das nimm mit; du kannst hundert Jahre warten, ehe dir russische Literatur wieder so
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