Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
beengt sie zu jener Zeit waren, doch in dieser ihrer Philistrosität immer noch hinter dem, was die Leipziger auf diesem Gebiete leisteten, zurückblieben. Dem allen stimmte Tante Pinchen mehr oder weniger befriedigt zu, und wenn wir uns erst im Prinzip geeinigt hatten, gingen wir – das heißt ich – sofort tapfer weiter vor, um die befreundeten Einzelexemplare nach Herzenslust durchzuhecheln.
All das ging so durch Wochen. Als sich aber Ende März herausstellte, daß es mit meinem Zustande nicht besser werden wollte, machte mir meine gütige Pflegerin eines Tages den Vorschlag, mein wie eine Typhusbrutstätte wirkendes Zimmer in der Hainstraße zu verlassen und in ihre Wohnung in der Poststraße zu übersiedeln, wo trockne, helle Räume waren. Das leuchtete mir denn auch ein, und da man im Neubertschen Hause froh war, einen Kranken, der sich doch nicht erholen konnte, mit guter Manier loszuwerden, so zog ich in den ersten Apriltagen in die Poststraßen-Wohnung.
Aber eh’ ich berichte, wie mir’s da erging, muß ich, um eine ganze Reihe von Jahren zurückgreifend, zuvor noch ein Genaueres von meinem rettenden Engel »Tante Pinchen« erzählen und vor allem von ihrem Manne, meinem »Onkel August«.
Mein »Onkel August«
Onkel August und Tante Pinchen waren ein sehr merkwürdiges Paar, dem ich mich, trotzdem ich nicht viel Rühmliches von ihnen zu vermelden habe, persönlich doch zu großem Danke verpflichtet fühle. Solche Gegensätze beziehungsweise Gefühlskonflikte sind nichts Seltenes. Als ich im Oktober 1870 als Kriegsgefangener nach der Insel Oléron gebracht wurde, begleitete mich dienstlich ein Gendarmeriebrigadier, mit dem ich mich in jener freien Weise, drauf sich die Franzosen und nun gar erst die französischen Soldaten so gut verstehen, über Louis Napoleon unterhielt. Ich hob alles hervor, was diesem im eigenen Lande vorgeworfen wurde, worauf mein Vis-à-vis mir antwortete: »Ja, das sagt man, und es wird wohl auch richtig sein; aber gegen uns war er gut.« Diese Worte drängen sich mir in dem Augenblick, in dem ich über Onkel August – der die Hauptperson in dem Drama ist – berichten will, wieder auf, und auch ich sage mit dem Gendarmeriebrigadier: »Gegen mich war er gut.«
Aber freilich daneben…!
Onkel August war 1804 aus einer zweiten Ehe meines Großvaters – der immer sehr verständig heiratete und es schließlich bis auf drei Frauen brachte – geboren. Ebendieser Großvater, Pierre Barthélemy, von dem ich an andrer Stelle – in dem Buche »Meine Kinderjahre« – manches erzählt habe, war bei der Geburt dieses jüngsten Sohnes schon beinah fünfzig, Grund genug, diesen Jüngsten zu verziehen. Aber dieser Grund war doch nur der kleinere, der größere und verzeihlichere war, daß dieser Spätling ein überaus reizender Junge war, hübsch, heiter, gutmütig, talentvoll. Er hatte was, um dessentwegen ihm alle Welt gern zu Willen war, am meisten der eigene Vater, und nur in einem gab Pierre Barthélemy nicht nach, wenigstens nicht gleich. Das war, als es sich um den einzuschlagenden Beruf handelte. Der Sohn wollte Künstler werden, aber damit drang er bei dem Vater nicht durch, der aus eigner Erfahrung wußte, wie wenig dabei herauskomme. Statt dessen also kam mein Onkel August bei Quittel in die Lehre, bei Quittel, was damals ein großer Name war, der Inbegriff alles Feinen, etwa wie heute Gerson oder Treu und Nuglisch oder Lohse. Quittel besaß ein Putzgeschäft unter der Stechbahn, wo Hof, Adel und vornehme Fremde ihre Einkäufe machten. Es war keine Frage, daß Onkel August wundervoll dahin paßte, schon weil er hübsch, flink und verbindlich und noch mehr, weil er im Französischen fest und sicher war. Aber er seinerseits war nicht zufrieden, weil er den Wunsch, ein freier Künstler zu werden, nie aufgegeben hatte. So kam schließlich, was trotz aller vorausgehender Weigerung des Vaters kommen mußte: Quittel wurde quittiert und mit Professor Wach vertauscht; an die Stelle von Putzgeschäftkartons traten Atelierkartons. Das war nun zunächst ein großes Glück, denn um Professor Wachs Haupt wob sich ein kleiner Heiligenschein; Wach war ein schöner Mann, bester Porträtmaler, Liebling des Hofes und der Damen und noch besonders geschätzt, weil er die Befreiungskriege mitgemacht hatte. Alles ließ sich gut an, und Onkel August malte verschiedenes, zuletzt auch ein Porträt seines Vaters. Es war, ich hab’ es oft vor Augen gehabt, ein ganz vorzügliches Bildnis, aber Wach
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