Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
dieses seines ältesten Kindes an irgendeinem Hof- oder Stadttheater doch wohl einträglicher sein würde als das Ziehen und Wandern von Ort zu Ort. Er faßte dies immer ernster ins Auge, und 1826 sah er seine Bemühungen in Erfüllung gehn: Philippine wurde seitens des Magdeburger Theaters engagiert, dessen gutmütiger Direktor den Rest der Familie – Vater Sohm war als »alter Moor« und ähnliches immer noch ganz gut zu verwenden – mit in den Kauf nahm.
Es war dies so ziemlich um dieselbe Zeit, wo sich auch mein Onkel August in Magdeburg eingefunden hatte. Die Sohmschen Damen, Mutter und Tochter – die Mutter selbst erst dreißig Jahre alt –, begriffen sofort die Situation und kamen den bald sich einstellenden Huldigungen des jungen Berliners freundlichst entgegen. Nur der Alte zeigte sich kühl; so herunter er auch war, so war er doch an Charakter und Klugheit der Überlegene und erkannte mit dem scharfen Blick eines Mannes, der gerade in seinen tollen Jahren viel gesehen und erlebt hatte, woran es dem Umwerber seiner Tochter gebrach. Er sah ganz deutlich, daß es ein Haselant war, ein Redensartenmensch, der alles haben mochte, nur nicht Charakter und Gesinnung. Andrerseits war Papa Sohm aber auch gescheit genug einzusehen, welche Vorteile solche äußerlich gute Partie nicht bloß seiner Tochter, sondern der ganzen Familie bringen mußte. So gab er denn schließlich, trotz aller Bedenken, nach und forderte nur das eine, daß es mit der Schauspielerei vorbei sein müsse. »Glaub Er mir, Er ist gar kein Schauspieler und dank’ Er Gott, daß Er keiner zu sein braucht – Er war ja wohl mal Kaufmann; fang Er doch wieder so was an, dann will ich Ihm meine Tochter geben.« Etwas von der Richtigkeit dieser Worte dämmerte wohl auch in dem glücklich Unglücklichen, an den sie sich richteten, und die Liebe zu der seraphinischen Philippine, die klug genug war, sich sehr reserviert zu halten, tat das übrige. Der Liebhaber ging auf alles ein, was der Alte gefordert hatte, der Schauspielerei wurde Valet gesagt, an die Verlobung schloß sich bald die Hochzeit, und 1828 zog das neuvermählte Paar in seine mittlerweile gemietete Berliner Wohnung ein. Diese Wohnung befand sich Burgstraße
18, in
einem reizenden, neben der Kriegsakademie gelegenen kleinen Hause; zwei Treppen hoch waren die Wohnräume, parterre das Geschäftslokal . Onkel August war nämlich wirklich wieder Kaufmann geworden, und zwar in Ausführung eines an und für sich sehr glücklichen Gedankens. Sich seiner Malerzeit erinnernd und dabei klug in Rechnung stellend, daß die beim alten Wach verlebten Jahre ihn in Berührung mit der ganzen Berliner Künstlerwelt gebracht hatten, hatte er ein großes Malerutensiliengeschäft etabliert, wie Berlin damals nur ein einziges besaß – das Heylsche –, und seiner gewinnenden Persönlichkeit gelang es denn auch, dies unter glücklichen Auspizien ins Leben gerufene Geschäft auf drei, vier Jahre hin auf eine wirkliche Höhe zu heben. Vielleicht schien es aber auch bloß so, vielleicht ging alles von Anfang an schief, und er wußt’ es nur geschickt und mit einer ihm eigenen Bonhommemiene zu verschleiern. Denn ein so schlechter Komödiant er gewesen war, im Leben war er ein sehr guter Schauspieler.
Alles bis hierher von meinem Onkel Erzählte spann sich in Jahren ab, in denen ich ihn noch gar nicht persönlich kannte; was ich aber des weiteren aus seinem damaligen Leben zu berichten habe, das hab‘ ich miterlebt, ja, direkt unter Augen gehabt. Ich erzähle davon in dem folgenden Kapitel.
Sechstes Kapitel
Mein Onkel August (Fortsetzung). Übersiedlung nach Dresden. Rückkehr von Dresden nach Leipzig
Etliche Jahre nach meines Onkels Geschäftsetablierung in der Burgstraße, womit ich das vorige Kapitel abschloß, kam ich nach Berlin, da mein Vater beschlossen hatte, mir statt einer Gymnasialbildung, in deren ersten Anfängen ich stand, eine Realschulbildung, und zwar auf der seit kurzem erst gegründeten Klödenschen Gewerbeschule, zu geben. Das Resultat dieses unterbrochenen Schulganges war, daß ich, anstatt eine Sache wirklich zu lernen, um alles richtige Lernen überhaupt kam und von links her die Gymnasialglocken, von rechts her die Realschule habe läuten hören, also mit minimen Bruchteilen einerseits von Latein und Griechisch, andrerseits von Optik, Statik, Hydraulik, von Anthropologie – wir mußten die Knochen und Knöchelchen auswendig lernen –, von Metrik, Poetik und
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