Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Hause, wurde Vertrauensperson und kam, wohl durch Bunsens Einfluß, als Sanskrit-Professor nach Oxford. Da war er nun fast eingelebt, als ich ihn im Herbst
1855 in
London wiedersah. Er nahm sich meiner gleich freundlich an, machte mich mit diesem und jenem bekannt und führte mich bei »Simpson« ein. Das war ein Dining-Room am Strand. Solch Eingeführtwerden in ein Speisehaus wird nun manchem Kontinentalen als etwas sehr Gleichgültiges erscheinen, für mich aber war es damals eine Sache von Bedeutung, eine Lebensfrage. Gehört man nicht einem Klub an, was sehr teuer und für einen nichtdistinguierten Fremden auch sehr schwierig ist, so weiß man in London, wo’s dann gleich sehr tief sinkt, wirklich nicht recht, wo man essen soll. Wenigstens war es damals so. Da dirigierte mich denn Müller, und ich war gerettet.
Er tat mir noch einen andren Liebesdienst. Davon ausgehend, daß englisches Leben viel Geld kostet und daß Deutsche nie viel Geld haben, bat er mich – diese Bitte war aber nur eine Verkleidung, eine Zartheit – , ihn bei einer Unterrichtskommission als Examinator im Deutschen vertreten zu wollen. Ich nahm es auch dankbar an, freilich zugleich zögernd, weil ich fühlte, daß ich als Examinator noch schwächer sein würde wie zeitlebens als Examinandus. Und so verlief es denn auch. Es war aber doch ein sehr interessanter Vormittag. In welchem Lokal sich alles abspielte, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur noch, daß ich mit einem Male, nach Durchsicht zweier kleiner schriftlichen Arbeiten, einen jungen Herrn auf mich zukommen sah, der sich mir als Mr. Pennefather vorstellte. Sein Vater war General Pennefather, den ich aus den Zeitungen her sehr gut kannte, weil er vor Sebastopol eine Gardebrigade ruhmreich befehligt hatte. Der auf mich Zukommende hatte das reizendste Gesicht, aber eine etwas schiefe Schulter und einen allzu zarten Teint, der auf schwache Gesundheit schließen ließ. Er machte mir eine graziöse Handbewegung und sagte dann in deutscher Sprache: »Mein Herr; ich biete… ich war schon einmal hier .« Das konnte nun alles mögliche heißen, aber seine freundlich verlegene Haltung gab den Kommentar, und ich stellte ihm, als wir ein paar Minuten deutsch gesprochen hatte, das denkbar glänzendste Zeugnis aus. Das vielleicht Unrichtige darin will ich gern verantworten. Ich verließ das Lokal mit dem Gefühl, ein gutes Werk getan zu haben, und empfing zwei Guineen, wenn es nicht mehr war; trotzdem war ich fest entschlossen, auf dieses heiße Eisen nicht wieder zu treten, und meine Begegnung mit Mr. Pennefather samt ausgestelltem Zeugnis ist das einzige gewesen, was ich zu Nutz und Frommen angehender englischer Kolonialbeamten getan habe.
Das Jahr darauf, Herbst 56, war ich auf Besuch bei Müller. Ich hatte vor, das »Herz von England«, jene Grafschaften, die die Midland-Counties heißen und in denen, neben so viel andrem Herrlichen, Kenilworth, Warwick, Stratford am Avon, Derby, Worcester, Fotheringhay, Newstead-Abbey, Chester etc. gelegen sind, kennenzulernen. Oxford sollte mir erste Station dazu sein. Ich war zwei Tage dort und zähle diese Tage zu meinen angenehmsten Erinnerungen. Um Müllers und dann auch um Oxfords willen. Von den Städten Westeuropas hab’ ich ein hübsches Häuflein gesehn, aber keine hat so mächtig, so bezaubernd auf mich eingewirkt. Selbstverständlich bin ich mir bewußt, daß dies nach den Naturen verschieden ist. Alle die, die den Sinn für den Süden haben, werden anders urteilen, ich für meine Person aber bin ausgesprochen nicht-südlich und kann das Wort, das A. W. Schlegel auf seinen Freund Fouqué anwandte, füglich auch auf mich anwenden. »Die Magnetnadel seiner Natur«, so sagte Schlegel von Fouqué, »zeigt nach Norden.« Worin das Übergewicht Oxfords liegt, ist schwer zu sagen. Es ist keineswegs bloß seine Architektur. Diese wird von der Gotik anderer mittelalterlicher Städte, sei’s an erfinderischem Genius, sei’s an innerlichem Reichtum, mannigfach übertroffen, und vielleicht ist überhaupt nichts da, was man, mit Ausnahme von All-Souls- und Maudlin-College, baulich als ersten Ranges bezeichnen könnte. Auch die Landschaft, so schön sie ist, hat mindestens ihresgleichen, und was endlich drittens das Imponderable des Historisch-Romantischen angeht, so gibt es viele Punkte, die davon mehr haben. Aber in einer eigenartigen Mischung, richtiger noch Durchdringung von schöner Architektur, schöner Landschaft und reicher Geschichte steht es
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