Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
falschen Rausch zu markieren, ruhig vor sich hin: »Goedsche hat heute wieder seine Zahntinktur ausgetrunken.« Ich persönlich habe Goedsche nur von zwei Seiten kennengelernt: als Vogelzüchter und Bellachini-Freund. Er hatte eine Hecke der schönsten australischen und südamerikanischen Vögel, und Bellachini war auf seine Art ein reizender Mann, was nicht wundernehmen darf. Alles, was sich an der Peripherie der Kunst herumtummelt: Akrobaten, Clowns, Monsieur Herkules, Zauberer und Taschenspieler – alle sind meist sehr angenehme Leute, weil sie das Bedürfnis haben, die Welt mit sich zu versöhnen. Goedsche zog sich in den siebziger Jahren nach Warmbrunn zurück, woselbst er in seinen guten Tagen – er hatte an den Retcliffe-Romanen ein enormes Geld verdient – ein Krankenhaus gestiftet hatte; dort starb er auch. Das letzte Mal, da ich ihn sah, noch in Berlin, war er sehr elend, infolge einer merkwürdigen, echt Goedscheschen Weihnachtsfeier. Seine Frau war ihm gestorben, und ganz in Sentimentalität steckend, wie so oft Naturen der Art, begab er sich am Christabend nach dem katholischen Kirchhofe hinaus und veranstaltete hier, indem er zahllose Lichter aufs Grab pflanzte, eine Liebes- und Gedächtnisfeier. Er setzte sich auf ein Nachbargrab und sang einen Vers und weinte. Die Folge davon war ein Pyramidalkatarrh, der sein Leben schon damals in Gefahr brachte.
Wie schon erzählt, Hesekiels und mein Arbeitstisch standen nahe beieinander. Aber was jeder von uns an seinem Tische leistete, das war sehr verschiedenwertig. Er war eine Hauptperson der Zeitung, zeitweilig die Hauptperson, und an der Betätigung seiner Gaben war der Zeitung und jedem Adligen und Geistlichen auf dem Lande sehr gelegen. Alle wollten hören, wie der damals noch nicht entpuppte »legitimistische Marquis« über Louis Napoleon denke. Mit dem englischen Artikel, der meine Domäne bildete, lag es umgekehrt, und ich glaube, daß dies auch der Grund war, warum mein Vorgänger Dr. Abel – er wurde später Times-Korrespondent und zeichnete sich als solcher aus – seine Kreuzzeitungs-Stellung aufgab. Es waren, auf England hin angesehen, stille Zeiten, alles Interesse lag bei Frankreich oder bei uns selbst, und so kam es, daß zeitweilig jeden Morgen der Chefredakteur an meinen Platz trat und mir mit seiner leisen Stimme zuflüsterte: »Wenn irgend möglich, heute nur ein paar Zeilen; je weniger, desto besser.« Ich war immer ganz einverstanden damit und hatte bequeme Tage. Zuletzt freilich wurde mir das bloße Stundenabsitzen langweilig, und ich trat – ein kleiner Streit kam hinzu – meinen Rückzug von der Zeitung an.
Ich könnte hier noch Welten erzählen, sei’s über Hesekiels persönliches Gebaren, sei’s über Leben und Treiben auf der Redaktion selbst. Ich ziehe es aber vor, hier abzubrechen und in Nachstehendem über das gesellschaftliche Leben auf der Kreuzzeitung, auf das ich schon kurz hinwies, zu berichten. Dies war das denkbar angenehmste, weil alles, was zum Bau gehörte, nicht bloß politisch oder redaktionell, sondern auch gesellschaftlich mitzählte. Mit Vergnügen denk’ ich an den trotz vieler Reibereien und persönlicher Gegensätze doch immer kameradschaftlichen Ton zurück, und ein Ausspruch, den, wenn ich nicht irre, General von Gerlach oder aber sein Bruder, der Magdeburger Oberappellationsgerichtspräsident, tat, zeigt am besten, wie vornehm und frei gerade diese leitenden Herren über solche Dinge dachten: »Ich würde es für klug und wünschenswert halten, daß wir ehrenhafte Leute von der Presse ganz in ähnlicher Weise wie die Geistlichen an uns bänden, ich meine durch Heirat.« Ich erzähle das, um an einem Musterbeispiel zu zeigen, wie wenig sich das landläufige Bild von einem Junker mit der Wirklichkeit deckt oder doch mindestens, wie glänzende Ausnahmen sich gerade bei den Klügsten und Besten unter ihnen vorfinden.
Gute Gesellschaftlichkeit, wie hier eingeschaltet werden mag, habe ich übrigens bei den Zeitungen aller Parteien gefunden. Und sehr erklärlich, daß es so ist. Die Redaktionen oder Besitzer haben meistens ein Einsehen von der Wichtigkeit solcher persönlichen Beziehungen, die lehrreich sind und Freudigkeit geben, welch letzteres Moment, bei dem vielen Ärgerlichen und mehr noch bei dem Übelbeleumdetsein unseres Berufs, oft recht wünschenswert ist. Also Gastlichkeit und ein bestimmtes, wenn auch oft nur bescheidenes Maß humanen Entgegenkommens findet sich nahezu überall. Aber ich
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