Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
habe doch gleichzeitig, bei viel Übereinstimmendem in dieser Beziehung, auch große Verschiedenheiten wahrgenommen. In der ministeriellen Presse stand es am ungünstigsten, weil man da selten wußte, wer eigentlich als »hospes« anzusehen sei; kam es aber trotzdem ausnahmsweise zu Repräsentation und Hospitalität, so hatte beides den eigentümlichen Reiz des Offiziösen. Wir wurden dann, in plötzlicher Erkenntnis, daß Gott seine Sonne über Gerechte und Ungerechte scheinen lasse, brüderlich oder doch wenigstens halbbrüderlich unter die Ministerialräte des Innern oder des Kultus eingereicht und fühlten uns nicht bloß geehrt, sondern auch sehr amüsiert. Denn diese Räte waren nichts weniger als steifleinene Herren, vielmehr umgekehrt meist glänzende Causeurs. Ich nenne nur einen, den Geheimrat Stiehl. Er war so witzig, daß man fast sagen konnte, selbst seine Regulative wirkten so. Jedenfalls stand er selber ziemlich kritisch zu seiner Schöpfung, und ich erinnere mich einer bei Gelegenheit seines Sturzes von ihm abgegebenen halb humoristischen, halb zynischen Erklärung, in der er lächelnd zugestand, daß er wohl wisse, wie man das alles auch ganz anders machen könne. Derbheit und Till Eulenspiegelei waren seine Natur. Er selber sagte von sich: »Ich habe da mal ein Tagebuch von meinem in Halle studierenden Großvater gefunden, daraus hervorgeht, daß er ein Renommist und Strenggläubiger war, und ich darf sagen, ich fühle mich als seinen Enkel.« Als ich Ende der fünfziger Jahre in England lebte, gehörte ein Mr. Collins, der die Berliner Wasserwerke angelegt hatte, zu meinen Bekannten. Er reiste, trotzdem er nur ein Bein hatte, beständig zwischen London und Berlin hin und her. Einmal war ich bei ihm zu Tisch, in seinem reizenden, am Hereford-Square gelegenen Hause: »Sagen Sie, kennen Sie einen Geheimrat Stiehl?« – »Gewiß kenne ich den; Original, sehr gescheit, sehr amüsant.« – »Das will ich meinen. Als ich letzten Dienstag von Berlin abfuhr, stieg mit einemmal ein sonderbar aussehender Herr ein, schimpfte gleich kolossal, aber doch sichtlich bloß zu seinem Vergnügen und zog mich dann sofort ins Gespräch. Als wir in Köln ankamen, war er noch mitten im Satz; so was von einem Erzähler ist mir noch nicht vorgekommen. Von Ermüdung meinerseits nicht die Spur; ich war bloß traurig, daß wir schon in Köln waren.« Stiehl heiratete später eine Frau v. M.; er Witwer, sie Witwe. Die Partie wurde viel beredet, denn sie, die Dame, war der Typus der Vornehmheit, was man von ihm nicht sagen konnte. Trotzdem hatte sie richtig gewählt und war glücklich, an die Stelle der »Complaisance«, die bis dahin ihr Lebensteil gewesen war, ein Kraftgenie treten zu sehen.
Die kleinen Festlichkeiten der ministeriellen Presse hatten, wie ich nur wiederholen kann, etwas von dem Charme der Offiziosität, die der fortschrittlichen Presse dagegen zeichneten sich durch Stil und Opulenz, durch Heranziehung von Kunst und Literatur aus, die der Kreuzzeitung aber waren die lehrreichsten und, wenn der Damm erst durchbrochen war, auch die gemütlichsten. Sie gaben sich nicht bloß als Extras, als Außergewöhnlichkeiten, sondern bildeten eine Art Institution, gehörten mit zum Programm. Ich muß deshalb etwas länger bei dieser Gastlichkeit verweilen.
Die gesellschaftliche Repräsentation der Kreuzzeitung trat in drei Gestalten auf: als »Cercle intime«, als Königsgeburtstagsfeier und als politische Ressource. Diese drei waren, wie von den Gesellschaften der anderen Zeitungen, so auch untereinander ziemlich verschieden. Der »Cercle intime« war gleichbedeutend mit einem Sichversammeln im Familienkreise; nicht die Zeitung als solche lud ein, sondern der Chefredakteur in Person und in seinem Hause. Keine Parteirepräsentation; alles mehr Privatsache. Das zeigte sich schon darin, daß auch Damen daran teilnahmen. Exzellenzen erschienen nur vereinzelt, aber viele Stabsoffiziere, Geistliche, befreundete Professoren, überhaupt Freunde. Manche sind mir sehr lebhaft im Gedächtnis geblieben: Minister Bodelschwingh, Geheimrat von Senfft-Pilsach, Major Ribbentrop von der Gardeartillerie – der sich mit seiner Batterie vor Düppel ausgezeichnet hatte –, Oberstleutnant Graf Roedern von den Gardedragonern, Hofprediger Kögel, Professor W. Hensel, der junge Senfft von Pilsach, Neffe des vorgenannten Geheimrats. –
Über die drei Letztgenannten möchte ich hier ein paar Worte sagen.
Hofprediger Kögel war damals eben
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