Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
nach Berlin gekommen; er mochte vierzig sein. Schlank, grad aufrecht, von einer nervös angespannten und zugleich degagierten Haltung, machte er mehr den Eindruck eines mit glänzenden Aussichten ins Ministerium berufenen Regierungsrats als den eines Theologen. Lebhaft, espritvoll, verbindlich, aber inmitten aller Verbindlichkeit von – übrigens vollberechtigten – Überlegenheitsallüren, konnte er als ein Typus jener aus kleinen in große Verhältnisse hineingeratenen Persönlichkeiten gelten, die, plötzlich auf einer gewissen Höhe angelangt, rasch daselbst die Wahrnehmung ihrer Superiorität machen und in diesem Gefühl zu Tonangebenden und Regierenden werden, selbstverständlich unter kluger Wahrung aller durch Geburt und Verhältnisse vorgeschriebenen Distanzen. Irr’ ich nun aber nicht, so hatte Kögel eine Neigung, diese so viel bedeutenden Distanzen in legererer Weise zu markieren als herkömmlich. Er »markierte« sie wirklich nur, statt ihnen einen starken Akzent zu geben, und bei dem feinen Wahrnehmungsvermögen, das hohe und höchste Herrschaften für solche Dinge haben, mußte sich in bestimmten Kreisen eine gewisse Gegnerschaft gegen ihn ausbilden. Er ist der glänzendste Kasualredner, den ich, sei’s im Leben, sei’s literarisch, kennengelernt habe; seine Gelegenheitsreden sind Musterwerke von Knappheit, Klarheit, Geschmack, und die vordem so beliebte Manier, in Anspielungen zu sprechen und dadurch, weil alles gelobt und alles getadelt wurde, sich nach allen Seiten hin zu salvieren, war ihm fremd. Vor Kennern bestand er glänzend. Aber es gab ihrer einzelne, die sich trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – nicht befriedigt fanden, weil sie nebenher beständig heraushörten: »Ihr seid ihr, und ich bin ich.« Es ist dreißig Jahre her, daß ich ihn zuerst sah; er machte schon damals den vorgeschilderten Eindruck, hatte schon damals alles das , was ihn auf seine Höhe hob, aber diese Hochstellung auch bedrohte. Seine Krankheit, die seinen Rücktritt veranlaßte, war vielleicht ein Segen für ihn.
Von sehr anderem Gepräge war Professor Wilhelm Hensel . Er zählte zu den häufigsten Gästen, nahm auch an den offiziellen Festdiners, Königsgeburtstag etc. regelmäßig teil und war allgemein gern gesehen. In Trebbin geboren, märkischer Predigerssohn, war er der Typus eines Märkers, gesund, breitschultrig, festen Willens und mit kleinen, listigen Augen. Trat er ein, so glaubte man einen in die Großstadt verschlagenen Amtmann zu sehen, und – daß ihm, vierzig Jahre früher, die schöne Fanny Mendelssohn zuteil geworden war, konnte wundernehmen. Erfuhr man dann aber, was es mit dem »Amtmann« auf sich habe, so war einem klar, daß die schöne Fanny sehr richtig gewählt habe. Das Preußentum von 1813 ließ sich ganz wundervoll an ihm studieren. Er hatte den Krieg mit Auszeichnung mitgemacht, erfreute sich, wohl zum Teil um dieser Haltung willen, einer großen Beliebtheit am Hofe Friedrich Wilhelms III., nicht minder bei sämtlichen Prinzen, und dies »Mit zum Hofe Gehören«, auch mit dazu gehören Wollen , gab ihm ein Etwas, das von der jungen Generation belächelt wurde. Aber ganz mit Unrecht. In dem reizenden Buche »Bismarck und seine Leute« kommt eine Stelle vor, wo Bismarck in Versailles auf offener Straße dem Geheimrat Abeken eine Depesche diktiert. Dieser ist ganz Dienst. Aber mit einem Male wahrnehmend, daß Prinz Karl die Straße herunter kommt, kommt Abeken ins Schwanken; er hat einerseits ein Gefühl von der Wichtigkeit der dienstlich politischen Situation, aber andererseits auch ein Gefühl von der Wichtigkeit einer Prinzenannäherung, und sich hin und her wendend, um, inmitten der Erfüllung seiner Amtspflichten gegen den Kanzler, doch auch die Honneurs gegen den Prinzen nicht zu versäumen, kommt er erst durch eine scharfe Bismarcksche Reprimande wieder zur Haltung und Ruhe. Genauso war Hensel. Eine Prinzenannäherung war doch immer die Hauptsache. Jetzt lachen die Leute darüber, weil sie die frühere Zeit nicht kennen und sich als große Freiheitler träumen; in Wahrheit aber liegt es so, daß die preußische Welt seit König Friedrich Wilhelm I. beständig wachsende Fortschritte, nicht im »Männerstolz vor Königsthronen«, sondern umgekehrt im Byzantinismus gemacht hat und daß die eigentlichen Charaktere und die eigentlich mutigen Männer in Tagen lebten, wo’s keine patentierte Freiheit gab und der Krückstock noch wacker umging. Zahllose herzerquickende Worte
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