Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
– auch Taten – sind damals vorgekommen, die heute ganz undenkbar sind. Auf diesem Gebiete sind in unserem modernen Leben auch die mutigsten Leute Drückeberger geworden. – Hensels intimster Freund war der Graf Blanckensee; sie hatten von 1813 bis
1815 in
derselben Truppe gedient. Es hieß einmal, daß es nicht leicht sei, mit dem Grafen auszukommen. »Ich bin fünfzig Jahre lang gut mit ihm ausgekommen«, sagte Hensel, »und schiebe das auf ein Prinzip, nach dem ich, von Jugend auf, meinen Umgang mit vornehmen Leuten eingerichtet habe. Gegen ihre höhere gesellschaftliche Stellung habe ich nie protestiert, auch im freundschaftlichsten Verkehr immer eine Grenzscheide gezogen, Kordialitäten nie versucht, ihnen immer ihren Stand und ihre Ehre gegeben; aber wenn das geringste geschah, das meine Ehre verletzte, habe ich das ruhig und fest zurückgewiesen. Das ist immer respektiert worden, und ich bin, wie mit Blankensee, so mit allen anderen märkischen Adeligen immer sehr gut ausgekommen.« In seinen Anschauungen hatte Hensel viel Gemeinsames mit Louis Schneider, bezeigte sich aber sehr viel feiner in ihrer Geltendmachung. In Gesellschaften war er ungemein beliebt, und mit Recht. Er hielt sich zunächst zurück und sondierte, nahm er aber wahr, daß gute Zuhörer da waren, so öffneten sich die Schleusen, seiner Beredtsamkeit, und daß er, der als Jüngling die Befreiungskriege mitgemacht, dann die Lalla-Rookh-Aufführung geleitet, dann 1848 die Künstler- und Studentenschaft kommandiert und 1860 als Totenwache neben seinem aufgebahrten König Friedrich Wilhelm IV. gestanden hatte –, daß der erzählen konnte, braucht nicht versichert zu werden. Als Maler war er nicht bedeutend, selbst der Wert seiner Porträtmappen wird angezweifelt, weil er noch dem Prinzip huldigte, »die Menschen so zu porträtieren, wie die Natur – ehe Störungen eintraten – die Betreffenden intendiert hatte.« Bis zuletzt blieb er bei Kraft, Frische und guter Laune und hatte das Glück, eines schönen Todes oder richtiger das Glück, in einer schönen Sache zu sterben. Eine Frau war überfahren worden; er sprang hinzu, um ihr zu helfen, und erlitt dabei selbst eine schwere Verletzung. Der erlag er. Er war immer hülfebereit gewesen und in einem Samariterdienst schied er aus dem Leben.
Der dritte, von dem ich sprechen möchte, war der junge Baron Senfft-Pilsach , Neffe des vorgenannten Geheimrats, Sohn des pommerschen Oberpräsidenten. Er war – trotz ganz unjunkerlicher Anschauungen – in Erscheinung und Sprechweise der Typus eines pommersch-märkischen Junkers, groß und stark, humoristisch und derb bis zum Zynismus. Er war als Gymnasialschüler bei dem Chefredakteur der Kreuzzeitung in Pension gewesen und hatte sich bei der Gelegenheit, wie das so oft geschieht, von dem abgewandt, dem man ihn zuwenden wollte. Als ich ihn kennenlernte, war er, glaub’ ich, Referendar und einige zwanzig Jahre alt. Wir plauderten miteinander, und er merkte, daß ich Fühlhörner ausstreckte, um über das konservative Hochmaß seiner Gesinnung ins klare zu kommen. Er lachte. »Meinetwegen brauchen Sie sich nicht zu genieren. Ich denke über alles anders.« Sein Leben bewies das. Er verheiratete sich mit einer polnisch-jüdischen Dame von großer musikalischer Bedeutung, ich glaube Pianistin von Beruf, und trat in Lebenskreise, die dem seiner Familie weitab lagen. Irgendeiner Aktien- oder Kommanditgesellschaft als Agent oder Berater beigegeben, ging er in den ihm verbleibenden Mußestunden in Musik auf. Er war weit über allen Dilettantismus hinaus ein vorzüglicher Sänger und im Vortrag Löwescher Balladen damals unerreicht. Er wußte, daß ich voller Interesse für diese Balladen war, und so schrieb er mir eines Tages eine Karte, worin er sich für den folgenden Vormittag anmeldete. »Keine Umstände, ich werde Ihnen den ›Archibald Douglas‹ vorsingen.« Er kam auch, und obwohl der niedrige Raum, dazu Gardinen und Teppiche, den Vollklang seiner mächtigen Stimme sehr behinderten, so machte sein Vortrag doch einen großen Eindruck auf mich und die Menschen, die zugegen waren. Ich sprach ihm meinen herzlichen Dank aus und bot ihm ein Glas Wein an, so gut ich’s hatte, hinzusetzend, ich hätte tags zuvor von einem in Wernigerode lebenden Freunde einige Flaschen »Wernigeröder« erhalten, einen abgelagerten Kornus, von dem es heiße, daß er womöglich noch besser als Nordhäuser sei; ob ich ihm vielleicht den vorsetzen dürfe? Sein Gesicht nahm
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