Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
gelegene weite Platz, auf dem man einen in seiner Mitte befindlichen großen Holzschuppen angezündet hatte, war taghell erleuchtet, und bei dem Glutschein dieser Fackel zog eine lange Truppenkolonne, die Helme blitzend, über den Platz hin; was noch in der Landsberger Straße steckte, knatterte weiter. Es war das Füsilierbataillon vom Leihregiment, das Befehl erhalten hatte, bis zu Mitternacht auf dem Schloßplatz zu sein – der Führer des Bataillons, Graf Lüttichau, an der Spitze. Das Ganze ein grausig schöner Anblick; unvergeßlich.
Um elf waren die Truppen über den Platz gezogen. Eine Stunde später wurde es still, und ich kletterte wieder in meine Stube hinauf. Das erste, was ich sah, waren Glassplitter, die zerstreut um mein Bett her lagen. Bei dem kolossalen Schießen in der Landsberger Straße war eine Kugel von der Turmecke her so eigenartig rikoschettiert, daß sie die anscheinend in vollstem Schutz liegende Fensterscheibe getroffen hatte. Wenn die Gewehre erst losgehen, weiß man nie, wie die Kugeln fliegen.
Zweites Kapitel
Der andere Morgen (neunzehnter März). Die »Proklamation«. »Alles bewilligt«. Betrachtungen über Straßenkämpfe. Leopold von Gerlachs Buch
Ich schlief während der Nacht, die folgte, so fest, daß ich, als ich aufwachte, mich nur mühsam in dem am Tage vorher Erlebten zurechtfinden konnte. Gegen acht Uhr war ich unten in unserem Geschäftslokal, woselbst ich schon viele Wartende, meist Frauen und Kinder, vorfand. Mein erster Gedanke ging dahin, daß es sich um Verwundete handeln müsse, weshalb ich ihnen die Zettel rasch aus der Hand nahm. Aber wer beschreibt mein Staunen, als ich sofort bemerkte, daß es sich bei diesen ärztlichen Verordnungen um ganz alte Bekannte handelte, von denen ich die Mehrzahl wohl schon ein halbes dutzendmal in Händen gehabt hatte. Nicht für Verwundete war man so früh schon aufgebrochen, nein, die Frauen, die da saßen und warteten, waren dieselben, die – wie schon eingangs des vorigen Kapitels von mir hervorgehoben – jeden dritten oder fünften Tag zum Doktor gingen, um sich da das Lebertranrezept für ihre skrofulösen Kinder erneuern zu lassen, und die diesen Lebertran dann als Lampenöl benutzten. Alle diese guten Hausmütter hatten auch am 19. März frühmorgens keine Ausnahme gemacht und unbekümmert darum, ob »Vater« am Tage zuvor sein Gewehr abgeschossen oder seinen Ziegel geschleudert hatte, war »Mutter« jetzt da, um ihre Lampe wieder gratis mit Öl zu versorgen. Freiheit konnte sein, Lebertran mußte sein. Das ganz Alltägliche bleibt immer siegreich und am meisten das Gemeine. Während der Nacht vom 18. zum 19., um auch das nicht zu verschweigen, haben sich unglaubliche Szenen abgespielt.
Es war mittlerweile belebter in Haus und Straße geworden und überall, wo sich etliche zusammenfanden, wurde von dem Anrücken des Leihregiments vom Frankfurter Tor her bis auf den Alexanderplatz und von dort her weiter bis auf den Schloßplatz gesprochen. Hunderte von Anwohnern der Landsberger Straße waren Augenzeugen dieses mit großer Energie durchgeführten Vormarsches gewesen, und was der eine nicht wußte, das wußte der andre. Tolle Sachen waren vorgekommen, zum Teil auch wohl häßliche, die sich hier nicht erzählen lassen, aber die Verluste hatten trotzdem auf beiden Seiten eine mäßige Höhe nicht überschritten. Unter denen, die auf seiten des Volks die Zeche hatten bezahlen müssen, befand sich auch ein Liebling von mir, dessen Tod mir beinahe zu Herzen ging. Es war dies ein großer, bildschöner Kerl, der täglich in der Apotheke vorsprach und dem ich dann, weil er mir so gefiel, immer etwas Furchtbares – denn das war ihm das liebste – aus den bittersten und namentlich brennendsten Tinkturen zusammenbraute. Dieser gemütliche Süffel von Fach hatte denn auch das Anrücken des Leihregiments ganz von der humoristischen Seite genommen, was in seinem Falle – denn er war ein alter Gardesoldat – eine doppelte Dummheit bedeutete. Just als die Tete bis in die Mitte der Landsberger Straße gekommen war, stellte er sich gemütlich vor eine Barrikade, drehte dem Grafen Lüttichau den Rücken zu und machte ihm und seinem Bataillon eine unanständige Gebärde. Fast in demselben Augenblicke fiel er, von zwei Kugeln getroffen, tot vornüber. Ich hörte das mit aufrichtiger Teilnahme; die ganze Sachlage war aber, von Politik wegen, zu langer Beschäftigung mit solchem Einzelfalle nicht angetan.
Es handelte sich doch um
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