Die dunklen Wasser von Arcachon
I.
A ntoine Kirchner schlief und träumte noch unruhig, als das Telefon klingelte, es war erst kurz nach sechs Uhr, auf dem Leuchtfeld des Telefons erschien der Name Pelleton , es musste dringend sein.
Kirchner brauchte einen Moment, die Zumutung der frühen Störung zu überwinden, sein großer, schwerer Körper lag dem Telefon abgewandt zwischen den Zargen seines alten Bettes. Es dauerte, bis ihn die seltsamen Träume, bevölkert von Fischen, endlich losließen. Nach sechsmaligem Läuten wälzte er sich herum und hob fahrig ab.
»Antoine«, hörte er seinen Chef im breiten Singsang seines südfranzösischen Akzents sagen, »ich glaube, es wäre gut, wenn du einen kleinen Ausflug nach Arcachon machst.«
Kirchner setzte sich auf und stellte die nackten Füße auf den Steinboden. Er klemmte sich den Hörer zwischen Kiefer und Schulter wie ein Geiger sein Instrument, mit den freien Händen rieb er sich über Augen und Stirn.
»Weißt du, wie spät es ist, Henri?«, brummte er.
»Es ist schon nach sechs Uhr, mein Guter, also reg dich nicht auf«, sagte Pelleton. »Du verdienst genug, um zu dieser Zeit schon ansprechbar zu sein.«
»Was ist denn so wichtig?«, fragte Kirchner.
Pelletons Antwort klang seltsam triumphierend: »Ein Fischer aus Arcachon hatte heute Nacht die Leiche des Finanzministers im Netz, sie trieb ziemlich weit draußen vor Cap Ferret im Golf. Wir sind die Ersten, die es wissen, und das wird auch noch für eine Weile so bleiben, also frag nicht weiter, und mach dich an die Arbeit.«
Kirchner legte auf und blieb noch eine Weile mit aufgestützten Armen auf dem Bett sitzen, dehnte seinen Hals langsam nach links und nach rechts, hob ein paarmal die Beine an, wie zu einer kleinen Morgengymnastik, dann sprang er dynamisch auf, zog die Vorhänge zur Seite und öffnete die beiden Fenster im Obergeschoss des Gehöfts, das er mit seinem Vater bewohnte.
Sein Schlafzimmer lag im Giebel des vierhundert Jahre alten Steinhauses, das normannische Bauern einst aufgeschichtet hatten: ein schiefergedeckter Eindachhof, auf einer Anhöhe am Meer gelegen, umgeben von Feldern, Apfelhainen und mittelalterlichen Brunnen und Wegen.
Ein neuer Tag zog auf über der Küste des Ärmelkanals. Die Flut war zurück seit dem frühen Morgen und brachte blauen Himmel mit, das Wasser deckte das Watt im engen Delta der Vire schon wieder zu bis auf einen breiten Streifen vorne am Strand. Kirchner sah die Möwen winzig und weit drunten über der Brandung segeln, der Wind kam kühl ins Zimmer, die See draußen funkelte in der aufgehenden Sonne wie Stanniol.
Kirchners Vater arbeitete hinter dem Haus schon seit einer Weile »in den Äpfeln«, wie er das nannte. Der Alte war ein Frühaufsteher, mit jedem Lebensjahr ein wenig mehr, ein kleiner grauer Mann in Gummistiefeln und gewachster Jacke. An seiner Seite sprang stets Filou, ein schneller schwarzer Retriever. Kirchner konnte den Alten hören, wie er nach Filou rief und dem Hund wie einem Kind erklärte, was er in den Äpfeln gerade machte.
Kirchner ging zu einem Waschtisch in einer Ecke seines quadratischen Zimmers, dehnte sich noch einmal, putzte sich fahrig die Zähne, rasierte sich nass und zog einen Kamm durch die vollen, glatten Haare, die er jeden Tag ein wenig grauer werden sah. Er stieg in eine dunkelkarierte Tweedhose, nahm sich ein schwarzes Hemd vom Bügel und begann, barfuß, den Tag.
Auf dem Treppenabsatz unten traf er seinen Vater, die beiden Männer nickten sich wortlos einen Gruß zu. Der Alte hob zum Spaß militärisch die flache Hand an den Schirm seiner Kappe, Kirchner winkte ab. Er hockte sich kurz hin, um Filou unter der Schnauze zu kraulen, dann betrat er eine Küche, die jeden Besucher allein wegen ihrer schieren Größe überrascht hätte. Der Raum maß zehn Mal sechs Meter und war eine alte Stallung. Vater und Sohn hatten, vor vielen Jahren schon, die alte Hängedecke des Dachbodens eingerissen, um die vielhundertjährigen Eichenbalken des Dachstuhls freizulegen. Jetzt wirkte der Raum wie ein bäuerlicher Festsaal oder ein kleines Kirchenschiff. Aus breiten Luken im Dach floss weiches Licht, zu ebener Erde ging der Blick aus den Fenstern hinunter aufs Meer. Nach hinten lagen die normannischen Wiesen, die die schön gestaffelten Hügel bis zum Horizont bedeckten, gegliedert von Hecken, Feldrainen und den Kronen alter Bäume, in denen bald, wenn der Herbst sich alles Laub geholt hätte, die Starennester hängen würden wie dicke dunkle
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