Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
bestätigte Hannah. »Und es war eigentlich nur ein Hotelwagen von drüben, aber alles herrschaftlich zurechtgemacht und der Kutscher mit Handschuhen. Er sah so feierlich aus, daß mir das Lachen ankam. Und dazu der lange Sepp als Lohndiener und einen Frack an. Und alles bloß für uns, Fräulein Phemi, wirklich bloß für uns. Denn an der nächsten Ecke sah ich sie kehrtmachen, und ehe ich noch bis hundert zählen konnte, hielten sie schon wieder vor dem ›König von Ungarn‹.«
Franziska war mehr bestürzt als erfreut. Allerdings waren ihr die Winterabende bei der Gräfin in durchaus freundlicher Erinnerung, aber die Beziehungen von damals wiederaufgenommen zu sehen entsprach wenig ihren Wünschen.
Am andern Tage gaben beide Damen in Abwesenheit der Gräfin ihre Gegenkarten ab, und Franziska lebte der Hoffnung, daß es dabei sein Bewenden haben werde. Darin irrte sie jedoch, und schon derselbe Tag war dazu bestimmt, eine persönliche Begegnung herbeizuführen. Es kam dies so:
Zu den kleinen Zerstreuungen Franziskas und Phemis gehörte namentlich auch der Bahnhofsbesuch, wo sie zu promenieren und das bunte Treiben der ankommenden und abgehenden Züge zu beobachten pflegten. Auch heute hatten sie sich eingefunden und bogen eben aus den Anlagen in den parallel mit der Bahn laufenden Kiesweg ein, als Franziska der Gräfin ansichtig wurde, die, von ihrer Kammerjungfer gefolgt, auf dem Perron auf und ab ging und ebenfalls den von Wien kommenden Vieruhrzug abzuwarten schien. Es fehlten nur noch einige Minuten. Ein Sich-vermeiden-Wollen wäre wenig schicklich, außerdem auch undurchführbar gewesen, und so trat denn Franziska an die Gräfin heran und bat nach den ersten Begrüßungsworten, ihr ihre Freundin Euphemia La Grange vorstellen zu dürfen. Die Gräfin reichte dem Fräulein die Hand und sprach ihr Bedauern aus, den ihr zugedachten Besuch der beiden Damen verfehlt zu haben, zugleich Franziska versichernd, wie sehr sie sich freue, die so plötzlich unterbrochene Winterbekanntschaft in diesen schönen Maitagen erneuern zu können.
»Ich habe von Ihrer andauernden Krankheit gehört«, fuhr sie fort, »und muß mich anklagen, mich dabei so säumig und anscheinend teilnahmlos gezeigt zu haben. Aber ich war gut unterrichtet, erst durch meinen Bruder und später durch meinen Neffen, Grafen Egon. Und nun bitt’ ich die Damen, einen Platz für mich suchen oder wenigstens die Promenade wieder aufnehmen zu wollen, denn meine Füße versagen mir im Stehen den Dienst und mahnen mich an die lange Reihe meiner Jahre.«
Dabei schritt sie den Damen vorauf auf ein Tempelchen zu, das auf einem künstlich aufgeworfenen Hügel inmitten der Anlagen errichtet war. Ehe sie jedoch die Stufen desselben erreichen konnte, hörte sie schon das Herannahen des Zuges und entschuldigte sich nun, das eben erst begonnene Gespräch auch schon wieder abbrechen zu müssen, aber sie sei hier, um einen lieben Freund zu begrüßen, den sein Weg von Wien aus nach Wiener-Neustadt führe. »Sie kennen ihn ja, mein liebes Fräulein«, setzte sie hinzu, »Pater Feßler, ein eifriger Verehrer von Ihnen und als solcher oft Gegenstand unserer Neckereien. So Sie mir gestatten, bring’ ich ihm Grüße von Ihnen.« Und damit empfahl sie sich und ging, von ihrer Jungfer gefolgt, auf den Perron zurück.
Euphemia sah ihr nach und sagte: »Charmante alte Dame, jeder Zoll eine Gräfin. Ich glaube zwar, trotz aller Liebenswürdigkeit, sehr stolz. Aber es ist mit dem Stolz wie mit der Tugend, worüber ich dir erst neulich einen kleinen Vortrag gehalten habe; weißt du noch? Und sieh, alles, was ich dir damals von der Tugend und den Tugendschaften sagte, das paßt auch auf die Stolzen. Ich leg’ ihre Karte noch mehr obenauf… Aber wer ist nur der Pater Feßler?«
»Überzeuge dich selbst; eben ist er ausgestiegen und spricht mit der Gräfin.«
»Ein schöner Mann.«
»Und sehr angenehm im Umgang.«
»Er wird dich am Ende noch bekehren.«
»Zweifle.«
»Wer weiß? Eine geborene Predigerstochter und gewordene Liebhaberin und Soubrette, nimm mir’s nicht übel, Fränzl, aus solchen Zutaten kann alles werden.«
Seit dieser Begegnung hatte sich ein Verkehr zwischen hüben und drüben entwickelt, der sich indessen auf bloße Begrüßungen beschränken zu wollen schien. Jeden Morgen, wenn beide jungen Damen auf ihrer Veranda saßen und Phemi die Zeitung studierte – denn sie war eine Politikerin, ungemein für Freiheit und noch mehr für Aristokratie –,
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