Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Scheunentorflügel, auf deren Wiedereinführung unser Domherr dringen zu müssen glaubt. Ein Reisender, todmüde, fährt vor, und da alle Räume besetzt sind, ist er schließlich froh, unmittelbar neben dem Saal ein Zimmer zu finden. Das Bett steht an der Tür entlang. Schlaf! so seufzt er einmal über das andere, und so gering seine Chancen sind, er will es wenigstens versuchen. Mitunter kommt der Gott, wenn man ihn ruft. Nur nicht, wenn die Leibkarabiniers tanzen. Der Unglückliche schüttelt endlich alle Müdigkeit von sich; Tanzmusik und rauschende Kleider verwirren ihm die Sinne; die Neugier, die Wurzel alles Übels, kommt über ihn, und siehe da, er richtet sich auf, um durch die nie fehlende Türritze hindurch ein stiller Zeuge des Balles zu sein. Leichtsinnig Ahnungsloser! Hingegeben süßer Betrachtung, dringt er kräftiger mit Stirn und Schultern vor; er sieht, er lauscht; die Schelmereien kichernder Paare finden in ihm einen unbemerkten Vertrauten; da, o Unheil, gebiert sich plötzlich jene Tücke, deren unter allen Türen der Welt nur die große Portaltüre fähig ist, und langsam nachgebend, aber mit einer Feierlichkeit, als handele es sich um den Einzug eines Triumphators, öffnen sich jetzt die beiden großen Flügel nach rechts und links hin, und huldigend liegt der Reisende zu unseren Füßen. Erlassen Sie mir die Einzelheiten. Ich werde den Aufschrei hören bis an den letzten meiner Tage. Und solche Klapptüren, bloß um verbesserten Luftzuges willen, will unser Medewitz…«
Er kam nicht weiter. Die Gräfin, persönlich nicht abgeneigt, den alten General auf seinen gewagtesten Exkursionen zu begleiten, war sich doch andererseits ihrer gesellschaftlichen Pflichten, insonderheit gegen ihre Nichte, zu voll bewußt, als daß sie noch hätte zögern mögen, den Rückzug einzuleiten. Sie erhob sich, und dem Grafen ihren Arm reichend, bat sie die sich miterhebenden Gäste, ihre Plätze behalten und sich die bevorzugte Stunde des Desserts um keine Minute verkürzen zu wollen. Renate folgte mit Krach. Am Eingange des Salons verneigten sich beide Damen gegen ihre Kavaliere, die, der dadurch angedeuteten Weisung folgend, an die Tafelrunde zurückkehrten.
Sechstes Kapitel
Nullum vinum nisi hungaricum
Hier waren inzwischen, neben anderem Dessert, Schalen mit Obst sowie Ungar-, Port- und alter Rheinwein aufgestellt worden. Vor Bamme stand eine langhalsige Flasche Ruster-Ausbruch in Originalverpackung. Er schenkte zunächst ein Spitzglas bis zur Hälfte voll, befragte das Bouquet, zog einen Schluck langsam ein, und allen Kennzeichen der Echtheit begegnend, setzte er das Glas mit einem Ausdruck der Zustimmung wieder vor sich nieder. Lewin, Rutze, Medewitz rückten näher, alle zu derselben Ungarfahne schwörend. »Das ist recht«, sagte Bamme und füllte die Gläser bis an den Rand, »so was wächst nur in einem Husarenlande.«
An der anderen Tischhälfte saßen jetzt Drosselstein und Krach, jener einen Gravensteiner Apfel schälend, dieser auf eigene Hand mit einer Flasche Liebfrauenmilch beschäftigt. Er gehörte zu denen, die nüchtern bleiben und sich begnügen, erst zänkisch, dann zynisch und schließlich apathisch zu werden. Übrigens stand er heute von Innehaltung seines Turnus ab.
»Daß diesen Rheinhessen so was in die Fässer läuft!« hob er an und ließ den Inhalt seines Glases im Lichte spielen. »Die schlechtesten Kerle den schönsten Wein! Von allen Blutsaugern, die anno 1806 und nun wieder in diesem Jahre durch Bingenwalde gekommen sind, sind keine so verschrien wie diese. Man kann die Kinder mit ihnen zu Bette jagen.«
»Sie haben toller gehaust als die Schweden«, erhob Medewitz von der anderen Seite des Tisches her seine Stimme, »sie haben meinen Amtsverwalter über Stroh gesengt; sie taugen nichts, aber sie sind zäh und tapfer.«
»Tapfer wie alles, was auf Bergen wohnt«, schaltete Rutze bekräftigend ein. »Auch bloße Höhenzüge schon geben Charakter.«
»Hauptmann!« rief jetzt Bamme und schob den vor ihm stehenden Dessertteller zurück, »wir sind noch nicht tief genug in Wein, um Sie in Ihrem Protzhagener Schweizerbewußtsein ruhig hinnehmen zu können. Ist der Potsdamer Exerzierplatz eine Gebirgsgegend?«
Rutze machte Augen und schien antworten zu wollen; seine Geisteskräfte ließen ihn aber im Stich, so daß der Handschuh von anderer Seite her aufgenommen werden mußte.
»Über die Berechtigung des Protzhagener Schweizergefühls«, bemerkte Drosselstein,
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