Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
ohne jede Spur von Kleinlichkeit, seine Schätzung anderer nicht davon abhängig machte, wie hoch oder niedrig er seinerseits taxiert wurde. Nur auf das, was er seine »gesellschaftlichen Gaben« nannte, war er eitel. Und nach dieser Seite hin, wenn auch mit Einschränkungen, ließ ihn Berndt von Vitzewitz gelten.
Das Spiegelzimmer in seinem zurückgelegenen Teile wurde von drei rechtwinklig zueinanderstehenden Estraden eingenommen, die, mit Blumen und Topfgewächsen dicht besetzt, einen hufeisenförmigen Separatraum bildeten, der sich in den Trumeaux der gegenübergelegenen Fensterpfeiler spiegelte. Innerhalb dieses Raumes, um einen länglichen, auf vier Säulen ruhenden Marmortisch, der fast die Form eines Altars hatte, nahmen die Gäste Platz und waren, während die kleinen Tassen präsentiert wurden, alsbald in einem Gespräch, das an Lebhaftigkeit die kaum beendigte Tischunterhaltung noch übertreffen zu wollen schien. Berndt hatte das Wort, alles war begierig, von ihm zu hören, er hatte den Minister gesprochen.
»Schlagen wir los?« fragte Bamme.
» Wir? Vielleicht. Oder wenn ich zu entscheiden habe: gewiß! Aber die Herren im hohen Rate? Nein. Am wenigsten der Minister. Er treibt Diplomatie, nicht Politik. Unfähig, feste Entschlüsse zu fassen, sucht er das Heil in Halbheiten. Er spricht von ›Negociationen‹, ein Lieblingswort, das ihm noch aus alten Zeiten her auf den Lippen sitzt. Wir haben nichts von ihm zu erwarten. Er läßt uns im Stich.«
»Ich glaubte dich anders verstanden zu haben«, bemerkte die Gräfin. »Er sei dir entgegengekommen.«
»Entgegengekommen! Ja, persönlich, und solange es sich um Worte handelte. Unter vier Augen schlägt er jede Schlacht. In der Idee sind wir einig: der Kaiser muß gestürzt, Preußen wiederhergestellt werden. Aber wie? Da werden die Herzen offenbar. Er will es auf dem Papier ausfechten, nicht mit der Waffe in der Hand, am grünen Tisch, nicht auf grüner Heide. Er hat keine Ahnung davon, daß nur ein rücksichtsloser Kampf uns retten kann. Rücksichtslos und ohne Besinnen. Noch haben wir das Spiel in der Hand; aber wie lange noch! Es fehlt ihm das Erkennen der Wichtigkeit dieser Tage. Jede Stunde, die unbenutzt vorübergeht, schreit gen Himmel und klagt ihn an als einen Schädiger und Verräter. Nicht aus bösem Willen, aber aus Schwäche.«
»Und schilderten Sie ihm die Stimmung des Landes?« fragte Drosselstein.
»Gewiß und mit einer Dringlichkeit, die jeden anderen fortgerissen hätte. Aber er! Als ich ihm unsere Gedanken eines Volksaufstandes entwickelte, als ich ihn beschwor, das Wort zu sprechen, erschrak er und suchte sein Erschrecken hinter einem Lächeln zu verbergen. ›Rüsten wir!‹ rief ich ihm zu. Das gefiel ihm. Ich hatte jetzt selber das Wort gesprochen, durch das er mich in geschickter Ausnutzung, worin er Meister ist, zu beschwichtigen hoffte. Er trat mir näher und sagte mit geheimnisvoller Miene, meine Worte wiederholend: ›Vitzewitz, wir rüsten.‹ Aber auch dieses Nichts war ihm schon wieder zuviel. ›Wir rüsten‹, fuhr er fort, ›ohne höchstwahrscheinlich dieser Rüstungen zu bedürfen , Napoleon ist herunter, er muß Frieden machen, und wir werden ohne Blutvergießen zu unserem Zwecke kommen. Englands und Rußlands sind wir sicher.‹ Ich war starr. Wir trennten uns in gutem Vernehmen, scheinbar selbst in Einverständnis, während doch jeder die Kluft empfand, die sich zwischen unseren Anschauungen aufgetan hatte. Als ich die Treppe hinabstieg, sagte ich mir: ›Also noch nicht belehrt! Die Zeit noch nicht begriffen! Napoleon noch nicht kennengelernt!‹«
Drosselstein, Bamme, Krach, den Unmut Berndts teilend, schüttelten den Kopf; Medewitz aber, der seiner Unbedeutendheit gern ein Loyalitätsmäntelchen umhing, glaubte jetzt den Moment zur Geltendmachung seiner ministeriellen Rechtgläubigkeit gekommen.
»Ich kann Ihre Entrüstung nicht teilen, Vitzewitz, Ihre Hitze reißt Sie fort. Die Kuriere und Stafetten, die beinahe stündlich aus allen Hauptstädten Europas eintreffen, – wissen wir, was sie bringen? Nein. Sie, wir alle, sehen die Dinge von einem Standpunkt mittlerer Erkenntnis aus. Der Minister aber hat jenen Überblick über die Gesamtverhältnisse, der uns fehlt. Er ist gut unterrichtet, ein Netz unserer Agenten umspannt Paris, der Kaiser ist auf Schritt und Tritt beobachtet. Wenn Seine Exzellenz ausspricht: ›Er ist herunter, er muß Frieden machen‹, so finde ich keine Veranlassung, dem zu widersprechen.
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