Delphi Saemtliche Werke von Theodor Fontane (Illustrierte) (German Edition)
Es zweifelt lange und sträubt sich noch länger. Aber zuletzt weiß es, wo seine Liebe und seine Bewunderung hingehört. Ich habe dies in den letzten Jahren des Großen Königs, wenn Dienst oder Festlichkeiten mich nach Berlin riefen, mehr als einmal beobachten können.«
»Ich meinerseits habe von entgegengesetzten Stimmungen gehört, und mir sind Drohreden des ›untrüglichen Volkes‹ hinterbracht worden, die sich hier nicht wiederholen lassen.«
»Es wird auch an solchen nicht gefehlt haben. Ein gerechter König, während er sich Tausende zu Dank verpflichtet, wird von Hunderten verklagt. Aber was er den Tausenden war, das ließ sich erkennen, wenn er, von der großen Revue kommend, seiner Schwester, der alten Prinzeß Amalie, die er oft das ganze Jahr über nicht sah, seinen regelmäßigen Herbstbesuch machte.«
Rutze, der sich solcher Besuche erinnern mochte, nickte zustimmend mit dem Kopf; Berndt aber fuhr fort: »Ich seh’ ihn vor mir wie heut’, er trug einen dreieckigen Montierungshut, die weiße Generalsfeder war zerrissen und schmutzig, der Rock alt und bestaubt, die Weste voll Tabak, die schwarzen Sammethosen abgetragen und rot verschossen. Hinter ihm Generale und Adjutanten. So ritt er auf seinem Schimmel, dem Condé, durch das Hallesche Tor, über das Rondell, in die Wilhelmsstraße ein, die gedrückt voller Menschen stand, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen. Er grüßte fortwährend, vom Tor bis zur Kochstraße wohl zweihundertmal. Dann bog er in den Hof des Palais ein und wurde von der alten Prinzessin an den Stufen der Vortreppe empfangen. Er begrüßte sie, bot ihr den Arm, und die großen Flügeltüren schlossen sich wieder. Alles wie eine Erscheinung. Nur die Menge stand noch entblößten Hauptes da, die Augen auf das Portal gerichtet. Und doch war nichts geschehen: keine Pracht, keine Kanonenschüsse, kein Trommeln und Pfeifen; nur ein dreiundsiebzigjähriger Mann, schlecht gekleidet, staubbedeckt, kehrte von seinem mühsamen Tagewerk zurück. Aber jeder wußte, daß dieses Tagewerk seit fünfundvierzig Jahren keinen Tag versäumt worden war, und Ehrfurcht, Bewunderung, Stolz, Vertrauen regte sich in jedes einzelnen Brust, sobald sie dieses Mannes der Pflicht und der Arbeit ansichtig wurden. Chère Amélie, auch dein Rheinsberger Prinz ist eingezogen. Hast du je Bilder wie diese vor Augen gehabt oder auch nur von ihnen gehört?«
Die Gräfin wollte antworten, aber der eintretende Jäger meldete, daß die Schlitten vorgefahren seien. So wurde das Gespräch unterbrochen. Es erfolgte nur noch eine Einladung auf Silvester, bis zu welchem Tage Baron Pehlemann hoffentlich von seinem Anfall wiederhergestellt, Dr. Faulstich aber seiner Ziebinger Umgarnung entzogen sein werde. Eine Viertelstunde später flogen die Schlitten auf verschiedenen Wegen ins Oderbruch hinein. Berndt, behufs Erledigung von Kreis- und anderen Amtsgeschäften, begleitete Drosselstein nach Hohen-Ziesar. Den weitesten Weg hatten Lewin und Renate, quer durch das Bruch hindurch. Als sie vor dem Hohen-Vietzer Herrenhause hielten, berichtete Jeetze mit einem Anflug von Vertraulichkeit, daß die »jungen Berliner Herrschaften« vor einer Stunde angekommen, aber, ermüdet von der Reise, schon zur Ruhe gegangen seien.
»Also auf morgen!« Damit trennten sich die Geschwister.
Achtes Kapitel
Chez soi
Über dem Salon, aus dem die Wendeltreppe mit dem Nußbaumspalier ins obere Stock führte, befand sich das Schlafzimmer der Gräfin. Ein stiller Raum, hoch und geräumig, die Fenster nach Norden zu. Unter gewöhnlichen Verhältnissen hätte man diese Lage tadeln dürfen; hier aber, wo die Neigung vorherrschte, sich erst durch die Mittagssonne wecken zu lassen, gestaltete sich, was anderen Orts ein Fehler gewesen wäre, zu einem Vorzug. In der Mitte des Zimmers, nur mit der einen Schmalseite die Wand berührend, stand das Bett, ein großer, mit schweren Vorhängen ausgestatteter Behaglichkeitsbau und nicht eine jener sargartigen Kisten, die das Schlafen als eine Nebensache oder gar als eine Strafe erscheinen lassen. Ein zuverlässiger Mensch wacht aber nicht nur ordentlich, sondern schläft auch ordentlich, und es war eine Feinheit unserer Sprache, das richtig drapierte Großbett ohne weiteres zum Himmelbett zu erheben.
Die Gräfin, noch unter dem Einfluß des Streits, den sie mit dem Bruder gehabt hatte, und verstimmt, an einer, wie sie nicht zweifelte, siegreichen Entgegnung verhindert worden zu sein,
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