Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
jetzt Bath steht, war dazumal noch keine Stadt. Man sah hier keine Spur von einer menschlichen Wohnung, kein Zeichen von Menschenhand: allein die Gegend war damals schon ebenso reizend, dieselbe herrliche Abwechslung von Hügeln und Tälern, derselbe schöne Fluß, der sich hindurchschlängelt, dieselben hohen Berge, die gleich den Mühseligkeiten des Lebens, von ferne betrachtet, und teilweise durch den glänzenden Nebel des Morgens verborgen, ihre herbe Rauheit verlieren und mild und freundlich erscheinen. Von der lieblichen Schönheit dieser Landschaft ergriffen, sank der Prinz auf den grünen Rasen nieder und badete seine wunden Füße mit seinen Tränen.
›Ach‹, rief der unglückliche Bladud, indem er die Hände rang und trauervoll seine Augen gegen den Himmel erhob: ›möchten doch meine Wanderungen hier zu Ende gehen und meine ergebungsvollen Tränen, womit ich jetzt verfehlte Hoffnungen und verschmähte Liebe beklage, auf immer im Frieden dahinfließen.‹
Sein Wunsch wurde erhört. Es war zur Zeit der heidnischen Gottheiten, die die Leute manchmal beim Worte nahmen, und zwar mit einer Schnelligkeit, die ihnen oft sehr ungelegen kam. Der Boden öffnete sich unter des Prinzen Füßen: er sank hinab in den Abgrund, und alsbald schloß sich die Erde wieder über seinem Haupte, abgesehen von der Stelle, wo seine heißen Tränen durch sie heraufquellen und wo sie seitdem unaufhörlich geströmt sind.
Es ist bemerkenswert, daß bis auf den heutigen Tag große Scharen von Damen und Herren, die sich in ihrer Hoffnung, Lebensgefährten zu bekommen, getäuscht sahen, und beinahe ebensoviel junge Damen und Herren, die sich sehnen, solche zu bekommen, alljährlich nach Bath kommen, um die Wasser zu trinken und daraus große Stärkung und Tröstung schöpfen: – ein höchst gewichtiger Beweis für die Wirksamkeit der Tränen des Prinzen Bladud, und ein Umstand, wodurch die Wahrheit dieser Geschichte außer allen Zweifel gestellt wird.«
Herr Pickwick gähnte zu verschiedenen Malen. Als er ans Ende dieses kleinen Manuskripts gelangt war, faltete er es sofort sorgfältig wieder zusammen, legte es an seinen alten Platz in die Schublade des Schreibpults hinein, zündete sodann mit einem Gesicht, worauf die äußerste Müdigkeit zu lesen war, sein Nachtlicht an und begab sich die Treppe hinauf nach seinem Schlafzimmer.
Vor Herrn Dowlers Tür blieb er, wie gewöhnlich, stehen und klopfte an, um ihm gute Nacht zu sagen.
»Ah«, sagte Dowler, »Sie gehen zu Bett? Ich wollte, ich läge schon drin. Eine widerwärtige Nacht. Nicht wahr, sehr windig?«
»Ja«, versetzte Herr Pickwick: »gute Nacht.«
»Gute Nacht.«
Herr Pickwick ging auf sein Schlafzimmer und Herr Dowler nahm seinen Sitz vor dem Feuer wieder ein, um sein übereiltes Versprechen zu halten, bis zur Rückkehr seiner Gemahlin aufbleiben zu wollen.
Es gibt nicht leicht etwas Unangenehmeres, als nachts auf jemanden zu warten, besonders wenn dieser Jemand in einer Gesellschaft ist. Man kann sich des Gedankens nicht erwehren, wie schnell den Leuten dort die Zeit vergeht, die sich für uns so träge dahinschleppt, und je mehr man daran denkt, desto mehr schwindet die Hoffnung auf die baldige Ankunft des Erwarteten. Auch ticken die Uhren so laut, wenn man so allein dasitzt, und man meint – wenigstens geht es uns immer so – man habe Unterkleider voll Ungeziefer an. Zuerst juckt es einen am rechten Knie, und dann stellt sich derselbe Reiz am linken ein. Ändert man seine Stellung, so kommt es in die Arme, und wenn man seine Beine in allen möglichen Richtungen die Kreuz und die Quere herumgeworfen hat, so juckt es einen plötzlich an der Nase, an der man sofort reibt, als wollte man sie hinwegreiben, was man gewiß auch täte, wenn es möglich wäre. Auch die Augen machen viel Unbehagen, und der Docht eines Lichtes wird anderthalb Zoll lang, bis man ihn putzt. Diese und andere kleine Nervenstimmungen machen das lange Aufbleiben, wenn alle übrigen schon zu Bett gegangen sind, keineswegs zu einem lustigen Zeitvertreib.
So dachte Herr Dowler, als er vor dem Feuer saß, und er ärgerte sich im Innersten seines Herzens über all die gefühllosen Leute auf dem Ball, die ihn solange hinhielten. Seine Laune wurde nicht verbessert durch den Gedanken, daß er es sich am Abend in den Kopf gesetzt hatte, Kopfweh haben zu wollen und deswegen zu Hause geblieben war. Endlich, nachdem er zu wiederholten Malen eingenickt und gegen den Kamin hin vorgefallen war, sich aber
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