Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
reichte ihm die Peitsche in seine Rechte.
»Brrrr!« rief Herr Pickwick, als das große Tier eine entschiedene Neigung an den Tag legte, den Wagen rückwärts nach dem Fenster des Gastzimmers zu drängen.
»Brrrr!« wiederholten Herr Snodgraß und Herr Tupman aus dem Wagen.
»Es ist nur seine Munterkeit, Sir«, sagte der Stallknecht ermutigend. »Halt ihn fest, William!«
Der Gehilfe bändigte die Lebhaftigkeit des Tieres, und der Stallknecht trat zu Herrn Winkle, um ihm beim Aufsteigen behilflich zu sein.
»Auf der andern Seite, Sir, wenn’s gefällig ist«, sagte der Stallknecht.
»Hol’s der Teufel, der Herr will auf der unrechten Seite aufsteigen«, murmelte ein grinsender Postknecht gegen den außerordentlich vergnügten Kellner.
Herr Winkle klomm nach dieser Weisung in den Sattel, beinahe mit derselben Leichtigkeit, als wenn er die Wand eines Linienschiffes hätte ersteigen müssen.
»Alles in Ordnung?« fragte Herr Pickwick mit einem inneren Vorgefühl, daß die Verwirrung nun erst recht einsetzen würde.
»Alles in Ordnung!« versetzte Herr Winkle mit beklommener Stimme.
»Nun denn, in Gottes Namen!« sagte der Stallknecht, indem er das Pferd losließ.
Und fort rollte der Wagen, und fort sprengte Herr Winkle zur großen Belustigung des ganzen dienenden Gasthofpersonals.
»Warum geht denn der Gaul so zur Seite?« rief Herr Snodgraß im Wagen Herrn Winkle im Sattel zu.
»Es ist mir unerklärlich«, erwiderte Herr Winkle, dessen Pferd in der seltsamsten Weise – den Kopf nach der einen, und den Schweif nach der andern Seite der Straße gekehrt – dahinstelzte.
Herr Pickwick hatte keine Zeit, dies oder sonst irgend etwas zu beachten: denn alle seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten waren auf die Lenkung seines eigenen Pferdes konzentriert. Und dieses entwickelte allerlei Eigentümlichkeiten, die zwar von hohem Interesse für den Zuschauer, aber keineswegs für die im Wagen Sitzenden gleich unterhaltend waren. Abgesehen davon, daß es auf eine höchst unangenehme und für Herrn Pickwick sehr unbequeme Weise den Kopf beständig in die Höhe warf und so stark an den Zügeln riß, daß der Lenker diese kaum festzuhalten vermochte, zeigte es auch eine sonderbare Neigung, bald plötzlich einen Seitensprung zu machen, bald ebenso plötzlich wieder stillzustehen und dann wieder etliche Minuten so rasch davonzujagen, daß es Pickwick fast unmöglich fand, die Zügel festzuhalten.
»Ich bitte Sie, was in aller Welt hat das Tier im Sinn?« sagte Herr Snodgraß, als das Pferd dieses Manöver zum zwanzigsten Male wiederholte.
»Das weiß der Himmel!« versetzte Herr Tupman; »es hat ganz den Anschein, als ob es scheute – meinen Sie nicht auch?«
Herr Snodgraß war im Begriff zu antworten, als er durch den Ausruf des Herrn Pickwick unterbrochen wurde: »Oha, ich habe die Peitsche verloren!«
»Winkle,« rief Herr Snodgraß, als der Reiter auf seinem hohen Roß herantrabte, den Hut über die Ohren gezogen und von der heftigen Bewegung am ganzen Leibe zitternd, als wenn er zusammenbrechen wollte, »o lieber Winkle, bitte, heben Sie die Peitsche auf!«
Herr Winkle zog an den Zügeln des kapitalen Tieres, bis er ganz blau im Gesicht war, und als es ihm endlich glückte, das Pferd zum Stehen zu bringen, stieg er ab, gab Herrn Pickwick die Peitsche und schickte sich an, wieder aufzusteigen.
Ob nun das große Pferd bei seinem munteren Temperament ein Verlangen fühlte, sich mit Herrn Winkle einen kleinen unschuldigen Spaß zu machen, oder ob es ihm einfiel, daß es die Reise zu seinem Vergnügen ebensogut ohne Reiter, als mit einem solchen, vollenden könne – das sind Fragen, die wir natürlich nicht mit Bestimmtheit zu beantworten vermögen. Jedenfalls ist aber soviel gewiß, daß, welchen Beweggründen das Tier auch folgen mochte, Herr Winkle kaum den Fuß in den Steigbügel gesetzt hatte, als es durch eine rasche Bewegung die Zügel über den Kopf schnellte und um eine volle Länge zurückwich.
»Ruhig, ruhig, mein gutes Tier«, rief Herr Winkle besänftigend: »komm, gutes, altes Pferd!«
Allein »das gute Tier« war taub gegen alle Schmeicheleien. Je mehr sich Herr Winkle bemühte, ihm an die Seite zu kommen, um desto mehr wich es zurück, und trotz aller möglichen guten Worte drehten sich Herr Winkle und das Pferd wohl zehn Minuten im Kreise herum und waren nach dieser Zeit doch noch ebensoweit von einander entfernt, als beim Beginne ihres Tanzes – eine fatale Geschichte unter allen
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