Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
glänzenden Schein auf den Schnee. Instinktiv wich er der hellen Stelle aus, ging um sie herum und sah hinein. Anfangs glaubte er, die Stube sei leer und die Glut röte nur mit ihrem Schimmer die alten Balken an der Decke und die dunkelbraunen Wände. Als er aber genauer hinblickte, sah er den Knaben auf dem Fußboden kauern. Rasch trat er zur Tür, öffnete sie und ging hinein.
Das Geschöpf lag so nahe bei der Glut, daß, als der Chemiker sich bückte, es aufzurütteln, die Glut ihm fast das Gesicht versengte. Kaum fühlte der Junge die Berührung, als er, kaum halb wach, seine Lumpen zusammenraffte und halb kollernd, halb laufend in eine entlegene Ecke des Zimmers floh, wo er auf dem Boden hocken blieb und mit den Füßen stieß, um sich zu verteidigen.
»Steh auf«, sagte der Chemiker. »Kennst du mich noch?«
»Lassen Sie mich in Frieden«, erwiderte der Junge. »Das ist das Haus der Frau und nicht Ihres.«
Der feste Blick des Chemikers schüchterte ihn ein wenig ein, so daß er sich auf die Füße stellen und ansehen ließ.
»Wer hat dich gewaschen und verbunden?« fragte der Chemiker und deutete auf die wunden Füße des Jungen.
»Die Frau.«
»Und ist sie’s auch gewesen, die dir das Gesicht reiner gemacht hat?«
»Ja, die Frau.«
Redlaw stellte diese Fragen, um die Augen des Jungen auf sich zu lenken, und faßte ihn jetzt in derselben Absicht am Kinn und strich das wirre Haar zurück, so sehr er sich auch davor ekelte, ihn zu berühren. Der Junge sah ihm scharf und unausgesetzt in die Augen, falls im nächsten Augenblick etwas geschähe, das ihn zur Verteidigung zwänge. So konnte denn Redlaw genau erkennen, daß die Verwandlung nicht stattfand.
»Wo sind die andern?« fragte er.
»Die Frau ist aus.«
»Das weiß ich. Wo sind der Alte mit dem weißen Haar und sein Sohn?«
»Der Mann der Frau, was?«
»Ja, wo sind die beiden?«
»Fort! Es war was los. Sie wurden eilig geholt und sagten mir, ich solle hierbleiben.«
»Komm mit mir«, sagte der Chemiker, »und ich will dir Geld geben.«
»Wohin, und wieviel wollen Sie mir geben?«
»Ich will dir mehr Schillinge geben, als du jemals gesehen hast, und dich bald wieder zurückbringen. Kannst du mich an den Ort führen, woher du gekommen bist?«
»Lassen Sie mich«, erwiderte der Knabe und riß sich rasch los. »Dahin führe ich Sie nicht. Lassen Sie mich in Frieden, oder ich werfe Feuer auf Sie.«
Er kniete vor dem Kamin nieder und war bereit, mit seiner kleinen, wilden Hand die brennenden Kohlen herauszureißen.
Was der Chemiker empfunden, als er den Zauber hatte auf die wirken sehen, mit denen er in Berührung trat, kam dem dumpfen Grauen, mit dem er dieses Ungeheuer von einem Kind dem Einflusse Trotz bieten sah, nicht entfernt gleich. Sein Blut erstarrte beim Anblick dieses der Rührung und Empfindung unzugänglichen Wesens, dieses Scheinbildes von einem Kind, das ihm ein scharfes, boshaftes Gesicht zukehrte und sich, auf alles gefaßt, festhielt.
»Hör zu, Junge«, sagte er, »führ mich hin, wohin du willst, nur mußt du mich zu Leuten führen, die sehr arm oder sehr schlecht sind. Ich will ihnen helfen und nichts Böses zufügen. Ich will dir Geld dafür geben und bringe dich wieder hierher. Steh auf, mach rasch.«
Er tat ein paar hastige Schritte der Türe zu, da er die Rückkehr Millys befürchtete.
»Wollen Sie mich allein gehen lassen und mich nicht festhalten und mich auch nicht anrühren?« fragte der Junge und zog langsam die Hand vom Feuer zurück und stand auf.
»Ja!«
»Und mich vor Ihnen gehen lassen oder hinter Ihnen, oder wo ich will?«
»Ja!«
»So geben Sie mir erst Geld, dann gehe ich mit.«
Der Chemiker legte ihm ein paar Schillinge, einen nach dem andern, in die ausgestreckte Hand. Sie zu zählen ging über das Können des Jungen hinaus. Aber er sagte jedesmal »eins« und blickte dabei erst die Münze und dann den Geber habgierig an. Er konnte die Geldstücke außer in seiner Hand bloß im Munde aufbewahren, und dorthin steckte er sie.
Redlaw schrieb dann mit Bleistift auf ein aus seiner Brieftasche gerissenes Blatt, daß das Kind bei ihm sei, legte den Zettel auf den Tisch und winkte dem Jungen, ihm zu folgen. Seine Lumpen zusammenraffend wie gewöhnlich, gehorchte dieser und ging mit bloßem Kopf und nackten Füßen hinaus in die Winternacht.
Der Chemiker zog es vor, nicht durch das Gittertor zu gehen, wo er leicht der Frau begegnen konnte, die er so angelegentlich zu vermeiden trachtete, und führte
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