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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Swidger.
    »Zu spät!« murmelte der alte Mann und sah den Chemiker traurig an, und die Tränen liefen ihm über die Wangen.
    »Ich sag’s auch immer, Vater!« warf sein Sohn mit leiser Stimme ein. »Ich sag’s auch immer. Das einzige, was wir tun können, ist, daß wir uns ganz still verhalten, solange er schläft. Du hast recht, Vater!«
    Redlaw blieb neben dem Bette stehen und sah auf die Gestalt herab, die auf der Matratze lag. Es war ein Mann, der in der Vollkraft seines Lebens hätte stehen können, aber die Sonne wahrscheinlich nie mehr wiedersehen sollte. Die Laster eines vierzig- oder fünfzigjährigen Lebenslaufs hatten ihn so gezeichnet, daß im Vergleich mit ihm die schwere Hand der Zeit auf das Antlitz des Greises, der neben ihm stand, sogar schonend und verschönernd gewirkt hatte.
    »Wer ist das?« fragte der Chemiker und sah sich um.
    »Mein Sohn Georg, Mr. Redlaw«, antwortete der alte Mann und rang die Hände, »mein ältester Sohn Georg, auf den seine Mutter stolzer war als auf alle übrigen.« Redlaws Augen schweiften weg von dem weißen Haupt des Greises, das auf dem Bette ruhte, nach dem Manne hin, der ihn beim Eintreten erkannt hatte und der sich jetzt in der entlegensten Ecke des Zimmers zu schaffen machte. Er schien von seinem Alter zu sein, und obgleich er keinen so hoffnungslos heruntergekommenen Mann kannte, wie dieser zu sein schien, lag doch etwas in seiner Haltung, wie er jetzt zur Türe hinausging, das ihn veranlaßte, sich unruhig mit der Hand über die Stirn zu fahren.
    »William«, fragte er leise, »wer ist das?«
    »Ja, sehen Sie, Sir«, erwiderte William, »ich sag’s auch immer. Warum muß ein Mensch immer spielen und dergleichen und sich zollweise immer tiefer sinken lassen, bis es nicht mehr tiefer abwärts geht!«
    »Hat er das getan?« fragte Redlaw und sah dem Manne nach mit dem gleichen unsichern Blick wie vorhin.
    »Jawohl, Sir«, antwortete William Swidger. »Er versteht etwas von Medizin, wie es scheint. Er ist mit meinem armen Bruder dort«, Mr. William fuhr sich mit dem Rockärmel über die Augen, »zu Fuß nach London gekommen. Ja, ja, es treffen hier manchmal seltsame Gefährten zusammen, und er kam, um nach dem Kranken zu sehen. Und er hat uns auch zu ihm geholt. Ein trauriger Anblick, Sir. Aber so geht’s in der Welt! Es wird meinen Vater unter die Erde bringen.«
    Redlaw sah auf und erinnerte sich, wo und in welcher Gesellschaft er sich befand, und wurde sich des Zaubers bewußt, den er mit sich trug – in seinem Erstaunen hatte er ihn einen Augenblick vergessen –; er trat schnell ein wenig beiseite und überlegte, ob er bleiben oder gehen sollte. Mit einer gewissen trotzigen Verstocktheit, die zu seiner Natur zu gehören schien, entschied er sich für das Bleiben.
    »Erst gestern erkannte ich, daß die Erinnerungen dieses Alten nur ein Gewebe sind von Trübsal und Sorge, und heute schon soll ich mich scheuen, sie zu verwandeln – sind die Erinnerungen, die ich vertreiben kann, für diesen Sterbenden so kostbar, daß ich um ihn zu fürchten brauchte? Nein, ich will bleiben.«
    Aber trotzdem blieb er nur mit Zittern und Bangen und hielt sich fern vom Bett, mit abgewandtem Gesicht und in den schwarzen Mantel gehüllt, und lauschte den Worten der andern, als fühle er sich selbst als Dämon an dieser Stätte.
    »Vater!« murmelte der Kranke, einen Augenblick aus seiner Betäubung erwachend.
    »Mein Junge, mein Sohn Georg!« sagte der alte Philipp.
    »Du sprachst eben davon, ich wäre Mutters Liebling gewesen vor langer Zeit. Es ist etwas Schreckliches, an die alten Tage zurückzudenken.«
    »Nein, nein, nein!« entgegnete der Alte. »Denke nur daran! Sage nicht, es sei etwas Schreckliches. Für mich ist es nichts Schreckliches.«
    »Es schneidet dir doch ins Herz, Vater«, – – – denn die Tränen des Alten fielen auf ihn herab.
    »Ja, ja!« sagte Philipp. »Das ist wahr, aber es tut mir wohl. Es ist ein schweres Leid, an jene Zeit zurückzudenken, aber es tut mir wohl, Georg. O denke auch daran, denke auch daran, und dein Herz wird weicher und weicher werden. Wo ist mein Sohn William? William, mein Junge, deine Mutter liebte ihn innig bis zum letzten Augenblick, und mit ihrem letzten Atemzuge flüsterte sie: ›Sag ihm, daß ich ihm vergeben habe, ich segne ihn und bete für ihn.‹ Es waren die letzten Worte, die sie zu mir sprach. Ich habe sie nie vergessen und bin siebenundachtzig.«
    »Vater«, sagte der Mann auf dem Bett, »ich fühle,

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