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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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lassen Sie mich hinein! Er war doch Ihr Freund. Wie soll man auf ihn achtgeben und ihn retten? Sie sind alle so verändert. Niemand kann mir helfen als Sie. Bitte, bitte, machen Sie auf!«

 
     

     
    Drittes Kapitel
    Die Gabe wird zurückgenommen
     
    Noch lag die Nacht schwer am Himmel. Auf weiten Ebenen, von Gipfeln der Hügel und vom Verdeck der einsamen Schiffe auf See sah man tief unten am Horizont einen schwach dämmernden Streifen, der mit der Zeit Licht zu werden versprach. Doch er verhieß nur Fernes und Ungewisses, und noch kämpfte der Mond mit den unruhigen Wolken der Nacht.
    Auch die Schatten, die sich über Redlaws Geist lagerten, folgten einander dicht und schnell und verdunkelten das Licht seiner Seele – wie Nachtwolken zwischen Mond und Erde schweben und ihr Dunkel auf uns werfen. Launenhaft wie die Wolken des Nachthimmels enthüllten sie ihm bald blitzartig das Licht, dann hüllten sie es wieder in Halbdunkel und Ungewißheit, dann stürmten sie wieder, wenn der helle Glanz einen Augenblick durchbrach, darüber hin und machten die Finsternis noch dichter als zuvor.
    Draußen herrschte tiefes und feierliches Schweigen über dem alten Gebäude, und die Strebepfeiler und scharfen Ecken warfen geheimnisvolle Formen auf den Boden, der sich bald in dem weichen weißen Schnee versteckte, bald wieder nackt hervorkam, je nachdem der Mond hinter den Wolken hervorschien. Das Zimmer des Chemikers lag undeutlich und düster im trüben Schein der verlöschenden Lampe, ein geisterhaftes Schweigen war auf das Klopfen und Schreien draußen gefolgt, und nichts war vernehmbar als dann und wann ein leiser Ton in der weißen Asche des Kamins, wenn das Feuer sterbend aufatmete. Davor auf dem Boden lag der Junge in tiefem Schlaf. In seinem Stuhl saß der Chemiker, und saß dort, wie ein Mensch, der zu Stein geworden ist.
    Da begann von neuem die Weihnachtsmusik, die er schon einmal vernommen hatte, zu spielen. Er lauschte ihr zuerst, wie er auf dem Kirchhofe gelauscht hatte, aber bald stand er auf – sie klang noch fort, und die Nachtluft trug ihre leise, sanfte melancholische Weise zu ihm – und streckte seine Hände aus, als ob sich ihm ein Freund nahe, dem seine unselige Berührung kein Leid tun könne. Dann löste sich langsam der starre, brütende Ausdruck seines Gesichtes, ein leises Zittern überkam ihn, seine Augen füllten sich mit Tränen, und er bedeckte sein Gesicht mit den Händen und neigte den Kopf. Noch war seine Erinnerung an Sorge, Leid und Kummer nicht wieder aufgetaucht; er wußte, daß sie noch nicht wiedergekommen, und hatte auch keine Hoffnung, daß es je geschehen werde. Aber eine dumpfe Regung in seinem Innern machte ihn wieder fähig, das zu empfinden, was in der Musik verborgen lag. Und wenn sie ihm auch bloß voll Trauer vom Werte dessen sprach, was er verloren hatte, so pries er doch den Himmel dafür mit heißer Dankbarkeit. Als der letzte Ton verklungen, hob er den Kopf, um den zitternden Schwingungen noch zu lauschen. Hinter dem Knaben, so daß seine schlafende Gestalt ihm zu Füßen lag, stand das Phantom unbeweglich und stumm, die Augen auf den Chemiker geheftet.
    Gespenstisch wie früher, aber doch nicht mehr so grauenhaft und erbarmungslos war es anzuschauen, oder wenigstens kam es Redlaw so vor oder hoffte er wenigstens, als er schaudernd hinblickte. Es war nicht allein, sondern hielt in der schattenhaften Hand noch eine andere Hand.
    Und wessen Hand war das? War die Gestalt neben dem Phantom wirklich Milly oder bloß ihr Schatten und ihr Scheinbild?
    Das Köpfchen mit dem stillen Antlitz war ein wenig geneigt, wie es ihre Art war, und ihre Augen blickten voll Mitleid auf das schlummernde Kind. Ein strahlendes Licht fiel auf ihr Gesicht, berührte aber das Phantom nicht. Obwohl es dicht neben ihr stand, war es dunkel und farblos wie immer.
    »Gespenst!« sagte der Chemiker, von neuer Unruhe erfaßt. »Ich bin nicht vorwitzig und anmaßend gewesen, was sie anbelangt. O bring sie nicht hierher. Erspare mir dies eine!«
    »Es ist nur ein Schemen«, sagte das Phantom, »suche die wirkliche Form auf, deren Bild ich dir hier vorführe!«
    »Ist das mein unerbittliches Verhängnis?« rief der Chemiker.
    »Ja«, sagte das Phantom.
    »Um ihren Frieden und ihre Herzensgüte zu vernichten, um sie zu dem zu machen, was ich selbst bin und was ich aus andern gemacht habe!«
    »Ich habe gesagt, suche sie auf«, erwiderte das Gespenst. »Mehr hab’ ich nicht gesagt.«
    »O sag mir«, rief

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