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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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Chemiker sah den Mann an, der in dem niederdrückenden Gefühl der Herabgekommenheit vor ihm stand, und würde ihn noch länger angeblickt haben in vergeblichem Bemühen, Licht in seine Erinnerung zu bringen, hätte nicht Milly wieder ihren Platz an seiner Seite eingenommen und seinen Blick auf sich gelenkt.
    »Sehen Sie, wie tief er gesunken ist«, flüsterte sie und deutete auf den Unbekannten, ohne den Blick vom Gesicht des Chemikers abzuwenden. »Wenn Sie sich alles dessen entsinnen könnten, meinen Sie nicht, es würde Ihr Mitleid wachrufen, daß es mit einem, den Sie einmal liebten – und ist’s auch lange her und war er auch unwürdig –, so weit hat kommen müssen?«
    »Ich hoffe es«, antwortete Redlaw, »und glaube es.«
    Seine Augen wanderten zu der Gestalt an der Tür, kehrten aber rasch zu ihr zurück und hingen an ihrem Gesicht, als wollten sie aus jedem Ton ihrer Stimme und aus jedem ihrer Blicke begierig eine Lehre ziehen.
    »Ich habe kein Wissen und Sie dessen so viel«, sagte Milly. »Ich bin nicht gewöhnt zu denken, und Sie denken immer. Darf ich Ihnen sagen, warum es mir gut zu sein scheint, wenn man sich an das Leid erinnert, das uns widerfahren ist? Damit wir es vergeben können!«
    »Verzeih mir«, sagte Redlaw und blickte gen Himmel, »daß ich dein Geschenk weggeworfen habe.«
    »Und wenn«, fuhr Milly fort, »Ihnen das Gedächtnis eines Tages wiederkehrt, wie wir alle hoffen und beten wollen, wäre es dann nicht ein Segen für Sie, wenn Sie sich an das Unrecht und zugleich daran, daß es vergeben ist, erinnern?«
    Er sah auf die Gestalt an der Tür und wiederum aufmerksam auf Milly; ein Strahl helleren Lichtes schien in seine Seele zu fallen.
    »Er kann nicht zurückkehren an den heimischen Herd, den er verlassen. Er verlangt auch nicht zurück. Er weiß, er brächte nur Leid und Beschämung über die, die er so grausam vernachlässigt, und weiß, daß er sein Unrecht jetzt am besten sühnt, wenn er sie meidet. Mit ein wenig Geld könnte er in eine ferne Stadt ziehen, um ein besseres Leben zu führen und sein Unrecht wiedergutzumachen, soweit es noch möglich ist. Für seine unglückliche Gattin und ihren Sohn wäre dies das beste und günstigste Geschenk, das ihr treuester Freund ihnen machen könnte – ein Geschenk, von dem sie gar nichts zu wissen brauchten. Und für ihn, dessen Name vernichtet ist, dessen Geist und Körper krank sind, könnte es eine Rettung sein.«
    Redlaw nahm ihr Haupt zwischen seine Hände und küßte sie und sagte: »Es soll geschehen. Ich vertraue es Ihnen an, es sogleich und in aller Stille auszuführen und ihm zu sagen, ich würde ihm so gerne vergeben, wäre ich nur so glücklich, zu wissen, was.«
    Als sie sich erhob und ihr strahlendes Gesicht dem Unglücklichen zuwandte und ihm damit verriet, daß ihre Bitte erfüllt worden, da trat der Mann einen Schritt vor und redete mit gesenkten Augen Redlaw an.
    »Sie sind so großmütig«, sagte er, »– Sie waren es immer –, daß Sie bei diesem meinem Anblick nichts von Vergeltung empfinden werden, ich aber fühle die Vergeltung schwer auf mir lasten, Redlaw. Wenn Sie können, glauben Sie mir das.«
    Der Chemiker bat Milly durch eine Gebärde, näher zu ihm zu kommen, und sah ihr fragend ins Gesicht, als hoffe er dort den Schlüssel zu dem zu finden, was er vernommen.
    »Ich bin zu tief gesunken, noch so etwas wie eine Beichte ablegen zu können. Mein Lebenspfad steht zu deutlich vor mir, als daß ich mit dergleichen vor Sie hintreten könnte. Aber von dem ersten Tag an, wo ich Sie hinterging, bin ich tiefer und tiefer gesunken mit unaufhaltsamer Geschwindigkeit. Das wollte ich sagen.« Redlaw wandte sein Gesicht dem Sprecher zu, und es lag etwas wie Kummer und schmerzliche Erinnerung darin.
    »Ich hätte ein anderer Mensch sein und ein anderes Leben führen können, hätte ich diesen ersten verhängnisvollen Schritt vermieden. Ich weiß nicht, ob es dann so gekommen wäre, ich will mir diese bloße Möglichkeit nicht als Verdienst anrechnen. Ihre Schwester liegt im Grabe, und ihr ist dort wohler, als ihr bei mir sein könnte, selbst wenn ich der geblieben wäre, den Sie einst kannten.«
    Redlaw machte eine heftige Bewegung mit der Hand, als wünsche er davon nichts mehr zu hören.
    »Ich spreche«, fuhr der andere fort, »wie ein Mensch, den man vom Grabesrand zurückgerissen. Ich hätte gestern nacht mit mir ein Ende gemacht, wäre diese segensreiche Hand nicht gewesen.«
    »O Gott, auch er – – –

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