Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
ausdrücklich dem Geschmacke und den Wünschen jener angepaßt waren. Der Schneider präsentierte in seinem Fenster ein Paar lederne Liliputgamaschen und einen Diminutivkittel, während beide Türpfosten sehr angemessen mit Modellen von Kohlensäcken garniert waren. Die beiden Garköche stellten Keulen von einem Umfang und Puddings von einer Solidität, die nur von Kohlenträgern gewürdigt werden konnte, zur Schau; und der Obstpastetenbäcker ließ in seinem reingescheuerten Fensterkasten weiße, mit roten Tüpfeln verzierte Mehl- und Bratenfettkompositionen sehen, die den großen Mund eines jeden vorübergehenden Kohlenmannes wäßrig machten.
Doch alles in ganz Scotland-Yard wurde von dem alten Gasthause im Winkel übertroffen. Hier in einem finsteren, getäfelten, die Spuren großen Altertums tragenden, durch ein gewaltiges Feuer gemütlich gemachten Zimmer, das mit einer ungeheuren Uhr verziert war, deren Zifferblatt weiß und deren Zahlen schwarz aussahen, saßen die wackeren und munteren Kohlenträger, tranken Bier in großen Zügen und verbreiteten solche Wolken von Rauch um sich her, daß es fast Nacht davon wurde. An Winterabenden konnte man sie weithin bis an das Stromufer ihre Lieder brüllen hören, wobei sie auf den Schlußworten des Chors so lange und nachdrücklich auszuhalten pflegten, daß das Dach über ihnen erbebte.
Auch erzählten sie hier einander von den Vätern ererbte Sagen von dem, was die Themse in alten Zeiten gewesen sei, wo noch niemand an die Patent-Ankertau-Manufaktorei und die Waterloobrücke gedacht hatte; und sie schüttelten dann die Köpfe mit vielsagend-wichtigen Mienen zur Erbauung des aufwachsenden Trägergeschlechts, das umhersaß und dachte, wie das alles wohl enden würde. Und der Schneider nahm dann feierlich die Pfeife aus dem Munde und sprach seine Hoffnung aus, daß es gut enden würde, zugleich aber auch seine starken Zweifel, worauf er mit der Erklärung schloß, nicht so recht eigentlich sagen zu können, was er daraus machen solle – eine mysteriöse Meinungsäußerung, vorgetragen mit einer halb-prophetischen Miene, die niemals die vollkommenste Beistimmung der Versammelten hervorzurufen verfehlte. Dies alles setzten sie fort, bis die zehnte Stunde kam und mit ihr des Schneiders Frau, um ihn nach Hause zu holen, und dann brachen sie auf, um sich am folgenden Abend zur selben Stunde im selben Zimmer wieder zu versammeln und genau dasselbe zu sagen und zu tun.
Um diese Zeit fingen die stromaufwärts kommenden Kohlenschiffe an, unbestimmte Gerüchte nach Scotland-Yard zu tragen, wie man jemand in der City habe sagen hören, daß der Bürgermeister mit klaren Worten gedroht habe, die alte Londonbrücke niederreißen und eine neue bauen zu wollen. Anfangs blieben diese Gerüchte als bloßes, eitles Geschwätz unbeachtet, denn niemand in Scotland-Yard zweifelte, daß der Bürgermeister, wenn er wirklich mit so schwarzen Anschlägen umginge, auf einige Wochen in den Tower eingesperrt und sodann wegen Hochverrats um einen Kopf kürzer gemacht werden würde.
Allein, die Gerüchte wurden allmählich bestimmter und häufiger, und endlich brachte ein Kohlenschiff die unzweifelhafte Kunde, daß bereits mehrere Bogen der alten Brücke gesperrt und Vorbereitungen zum Bau der neuen im Werke seien. Welch eine Aufregung an jenem denkwürdigen Abende in der alten Schenkstube bemerkbar war! Einer schaute dem andern in das vor Schrecken und Staunen bleiche Gesicht und las darin den Widerhall der die eigene Brust erfüllenden Empfindungen. Der älteste anwesende Kohlenhändler bewies anschaulich, daß in dem Augenblicke, in dem man die Brückenpfeiler entfernte, das Wasser der Themse sich samt und sonders verlaufen und nur einen trockenen Schlund zurücklassen würde. Was sollte dann aber aus den Kohlenschiffen – dem Handel von Scotland-Yard – und aus Scotland-Yards Bevölkerung selbst werden? Der Schneider schüttelte den Kopf noch weiser als gewöhnlich, wies mit schrecklicher Gebärde nach einem Messer auf dem Tisch hin und forderte die Versammelten auf, zu warten und zu sehen, was geschehen würde. Er – was ihn betreffe – wolle nichts sagen; aber wenn der Bürgermeister nicht das Opfer eines Volksaufstandes würde – nun: so sollte es ihn nicht wenig wundernehmen.
Sie warteten; ein Kohlenschiff nach dem andern langte an, aber immer und immer noch keine Nachricht von der Abschlachtung des Bürgermeisters. Der Grundstein wurde gelegt – von einem Herzog, einem Bruder
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