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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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die Anzüge noch genauer und mit dem festen Entschlusse an, uns nicht so leicht täuschen zu lassen. Allein wir hatten recht gehabt; je länger wir hinsahen, desto fester überzeugten wir uns von der Richtigkeit unseres ersten Gedankens. Des ehemaligen Eigentümers ganzes Leben war so deutlich auf diesen Anzügen zu lesen, als ob wir seine Selbstbiographie auf Pergament vor uns hätten.
    Der erste Anzug bestand aus geflickten und stark beschmutzten Jäckchen und Höschen – einem jener engen blauen Tuchfutterale, in die man kleine Knaben hineinzustecken pflegte, bevor Gürtel und Blusen auf- und alte Moden abgekommen waren: eine scharfsinnige Erfindung, das ganze Ebenmaß der Gestalt eines Knaben dadurch zur Schau zu stellen, daß man letzterem ein sehr knapp anliegendes Jäckchen mit Zierreihen von Knöpfen über den Schultern anzog und sodann die Höschen darüber knöpfte, wie um den Beinen das Aussehen zu geben, als ob sie gerade unter den Armgruben angehakt seien. Dies war der Anzug des Knaben – offenbar eines Stadtkindes, denn die Ärmel und Beinlinge hatten die Kürze und die Knie die Leinenflicken, die der in den Londoner Straßen aufwachsenden Jugend eigentümlich sind. Ebenso offenbar war es, daß der Knabe nur eine Winkelschule besucht hatte. Wenn er Schüler in einer ordentlichen Pensionsanstalt gewesen wäre, so würde man ihm nicht erlaubt haben, soviel auf der Erde zu spielen und sich die Knie so weiß zu rutschen. Auch hatte er eine nachsichtige Mutter und viel Kupfergeld gehabt, was man aus den zahlreichen Streifen einer klebrigen Substanz in der Gegend der Taschen und gerade unter dem Kinne ersah, Streifen, die selbst des Trödlers Geschick zu verstecken nicht imstande gewesen war. Seine Eltern waren anständige, aber mit Reichtümern nicht überbürdete Leute gewesen, denn er würde dem Anzug sonst nicht schon so lange entwachsen gewesen sein, als er die Corduroybeinkleider nebst der kurzen Jacke bekommen, worin er jedoch die Schule besucht und schreiben gelernt hatte – und noch dazu mit recht schwarzer Tinte, sofern die Stelle, an der er seine Feder abzuwischen pflegte, zum Beweise dienen konnte.
    Ein schwarzer Anzug und die kurze Jacke in einen Diminutivfrack verwandelt. Des Knaben Vater war gestorben, und die Mutter hatte ihn irgendwo als Laufburschen untergebracht. Der Anzug war lange getragen, verschossen und fadenscheinig, ehe er abgelegt wurde, blieb aber reinlich und von Flecken frei bis zu Ende. Die arme Frau! Wir konnten uns ihre erkünstelte Heiterkeit bei dem dürftigen Mahle vorstellen und wie sie den eigenen kleinen Anteil unberührt ließ, damit ihr hungriger Knabe genug hätte. Ihr fortwährendes Sorgen für ihn, ihr Stolz auf sein Heranwachsen, bisweilen mit dem bitteren, fast zu bitteren Gedanken, um ihn ertragen zu können, vermischt, daß er als Mann gegen sie erkalten, ihrer Liebe und seiner Zusagen vergessen möchte – der stechende Schmerz, den ihr schon auch in seiner Knabenzeit ein unbedachtes Wort, ein gleichgültiger Blick verursachte –, das alles schwebte uns so lebhaft vor, als ob wir es selbst gesehen hätten.
    Dergleichen trägt sich jede Stunde zu, und wir wußten es wohl; aber demungeachtet tat es uns, als wir die bald eintretende Veränderung gewahrten – oder gleichviel, zu gewahren uns einbildeten – so weh, als wäre uns so etwas zum ersten Male als möglich erschienen. Der nächstfolgende Anzug sah wie ein sonntägiger aus, war aber liederlich, sollte modisch sein und war doch nicht halb so anständig als der fadenscheinige: verriet den müßiggängerischen Umherlungerer in schlechter Gesellschaft und verkündete uns so, wie uns vorkam, daß Freude und Hoffnung der Witwe rasch verschwunden waren. Wir konnten uns den Rock, vorstellen – mehr, konnten ihn sehen – hatten ihn hundertmal mit drei oder vier anderen Röcken derselben Art in der Nähe von Orten nächtlicher Ausschweifungen umherstreifen gesehen.
    Wir bekleideten in einem Augenblick ein halbes Dutzend Knaben und junger Leute von fünfzehn bis zwanzig Jahren aus demselben Ladenfenster, steckten ihnen Zigarren in den Mund, ließen sie die Hände in die Taschen senken und sahen ihnen nach, als sie die Straße hinunterrenommierten und mit den zweideutigen Witzen und den oft ausgestoßenen Beteuerungen und Flüchen zögernd an der Ecke stehenblieben. Wir verloren sie erst aus dem Gesicht, als sie die Hüte noch etwas mehr auf das eine Ohr gedrückt hatten und in das Gasthaus hineinbramarbasiert

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