Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
Cribbage. Mr. Wisbottle beschrieb Halbkreise auf dem Klavierstuhl, blätterte in einem Notenbuch und pfiff höchst melodisch. Alfred Tomkins saß auf den Ellbogen gestützt am runden Tisch und skizzierte mit Bleistift einen Kopf, der beträchtlich länger als sein eigener war; O’Bleary las den Horaz und bemühte sich auszusehen, als ob er ihn verstände, und John Evenson hatte sich dicht zu Mrs. Tibbs an deren Nähtisch gesetzt und sprach leise und eifrig mit ihr.
»Ich versichere Sie, Mrs. Tibbs«, sagte er, »daß mich nur meine Teilnahme an Ihrem Wohlergehen bewegen konnte, Ihnen diese Mitteilung zu machen. Ich wiederhole es Ihnen, ich fürchte, daß Wisbottle die Neigung des jungen Frauenzimmers, der Agnes, zu gewinnen sucht, und in der Vorratskammer Zusammenkünfte mit ihr hat. Ich hörte gestern abend in meinem Zimmer deutlich Stimmen, öffnete leise die Tür, schlich an den Treppenabsatz und erblickte Mr. Tibbs, der, wie es schien, gleichfalls gestört war. – Mein Gott, Mrs. Tibbs, Sie verfärben sich ja!«
»O nein, nein – es ist nur so heiß im Zimmer«, erwiderte Mrs. Tibbs verlegen. »Wenn ich glauben müßte, was Sie von Mr. Wisbottle vermuten, so sollte er mir augenblicklich das Haus verlassen. Und wenn ihn gar mein Mann bei seinen Absichten unterstützte –«
»Ich hoffe«, fiel Evenson im beruhigendsten Tone ein, weil er es stets liebte, Unheil zu stiften, »daß Mr. Tibbs nichts mit der Sache zu schaffen hat. Er ist mir immer sehr harmlos erschienen.«
»Das ist er allerdings fast immer gewesen«, sagte die kleine Mrs. Tibbs schluchzend.
»Pst, pst! – Ich bitte – Mrs. Tibbs – bedenken Sie doch – man wird uns beobachten«, fuhr Evenson fort, der das Mißlingen seines ganzen Plans zu befürchten anfing. »Wir wollen uns schon Gewißheit verschaffen, und ich werde Ihnen mit dem größten Vergnügen meinen Beistand leihen. Wenn Sie glauben, daß alle zu Bett gegangen sind, und Sie wollen dann ohne Licht vor meiner Schlafzimmertür am Treppenfenster mit mir zusammentreffen, so denk’ ich, wir werden dahinterkommen, wer es eigentlich ist, und Sie können dann Ihre Maßregeln danach ergreifen.«
Mrs. Tibbs war leicht überredet, denn ihre Neugier und Eifersucht waren erregt. Sie griff wieder zu ihrem Nähzeug, und Evenson ging, als wenn gar nichts vorgefallen wäre, mit den Händen auf dem Rücken im Zimmer auf und ab. Die Cribbagepartie war beendigt und die Unterhaltung begann wieder. Der Tee wurde eingenommen, und die Mieter entfernten sich endlich, um zu Bett zu gehen. Evenson zog die Stiefel aus, entschlossen, aufzubleiben, bis sich Gobler, der stets noch eine Stunde allein im Besuchszimmer blieb, Arznei einnahm und stöhnte, zur Ruhe begeben haben würde.
Es war fast zwei Uhr. »Er muß jetzt eingeschlafen sein«, dachte Evenson, nachdem er mit musterhafter Geduld noch eine Stunde gewartet, als Gobler das Besuchszimmer verlassen hatte. Er horchte – es war alles vollkommen still im Hause; er löschte sein Licht aus und öffnete seine Schlafzimmertür. Es war so finster auf der Treppe, daß man durchaus keinen Gegenstand unterscheiden konnte.
»S – s – s!« wisperte der Unheilstifter, ein Geräusch machend, wie wenn ein Feuerrad anfängt, loszugehen.
»Pst!« wisperte sonst jemand.
»Sind Sie das, Mrs. Tibbs?«
»Ja, Sir!«
»Wo sind Sie?«
»Hier«, und am Treppenfenster zeigte sich Mrs. Tibbs’ unbestimmte Gestalt, gleich dem Geiste der Königin Anna in der Zeltszene in Shakespeares Richard dem Dritten.
»Kommen Sie, Mrs. Tibbs«, flüsterte der entzückte Evenson; »geben Sie mir Ihre Hand – so! Wer sie auch sein mögen, sie sind im Augenblick in der Vorratskammer, denn ich habe aus meinem Fenster gesehen, und konnte bemerken, daß sie zufällig die Leuchter umwarfen und sich in diesem Augenblicke in Finsternis befinden. Haben Sie die Schuhe ausgezogen?«
»Ja«, erwiderte Mrs. Tibbs, so heftig zitternd, daß sie kaum der Sprache mächtig war.
»Schön; ich habe meine Stiefel auch abgelegt, und wir können nach dem Treppengeländer schleichen und horchen.«
Es geschah.
»Ich will darauf schwören, daß Wisbottle dabei ist«, flüsterte der Radikale nach einigen Augenblicken.
»Pst! lassen Sie uns hören, was sie sagen«, erwiderte Mrs. Tibbs, deren Neugier jetzt die Oberhand über jede andere Leidenschaft oder Rücksicht gewonnen hatte.
»Ja, wenn ich Ihnen glauben könnte«, ließ sich eine kokettierende weibliche Stimme vernehmen, »so wollt’ ich meine
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