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Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Dickens
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hartnäckig nein. Er fragte sie, ob sie ihn nicht liebe. Doch, sie liebe ihn von ganzem Herzen, aber sie könnte niemals ihrem geliebten, guten, edlen, großmütigen und ich weiß nicht was noch alles Vater (damit meinte sie mich, den fahrenden Hausierer in der Ärmelweste) die Enttäuschung bereiten, ihn zu verlassen, und sie wolle bei ihm bleiben, der Himmel segne ihn!, und wenn ihr das Herz darüber bräche. Hier fing sie bitterlich zu weinen an, und damit war mein Entschluß gefaßt.
    Solange ich mir über ihre Gefühle zu diesem jungen Mann im unklaren gewesen war, hatte ich eine so unvernünftige Wut auf Pickleson gehabt, daß es gut für ihn war, sein Vermächtnis gleich ausgezahlt gekriegt zu haben. Denn ich hatte oft gedacht: »Wenn dieser schwachköpfige Riese nicht gewesen wäre, so wäre es vielleicht nie dazu gekommen, daß ich mir wegen dieses jungen Mannes den Kopf zerbreche und die Seele aus dem Leib ärgere.« Aber, sobald ich einmal wußte, daß sie ihn liebte – sobald ich gesehen hatte, wie sie Tränen um ihn vergoß – da war es eine ganz andere Sache. Ich bat Pickleson auf der Stelle im Geiste alles ab, und nahm mich zusammen, um allen gegenüber das Rechte zu tun.
    Inzwischen hatte sie den jungen Mann verlassen (denn es dauerte einige Minuten, bevor ich mich gänzlich zusammengenommen hatte), und er stand gegen eine andere Fichte gelehnt und hatte das Gesicht auf den Arm gepreßt. Ich berührte ihn am Rücken. Er blickte auf, und als er mich wahrnahm, sagte er in der Taubstummensprache: »Seid nicht böse.«
    »Ich bin nicht böse, guter Junge. Ich bin Euer Freund. Kommt mit mir.«
    Ich ließ ihn an den Stufen des Bibliothekswagens stehen und ging allein hinauf. Sie wischte sich die Augen.
    »Du hast geweint, mein Kind.«
    »Ja, Vater.«
    »Weshalb?«
    »Mir tut der Kopf weh.«
    »Nicht das Herz?«
    »Ich sagte der Kopf, Vater.«
    »Doktor Marigold muß für diesen Kopfschmerz ein Rezept ausstellen.«
    Sie nahm das Buch mit meinen »Rezepten« auf und hielt es mit einem gezwungenen Lächeln in die Höhe. Da sie mich aber so ernst und ruhig sah, legte sie es sacht wieder hin, und ihre Augen blickten mich mit größter Aufmerksamkeit an.
    »Das Rezept ist nicht da drin, Sophy.«
    »Wo ist es denn?«
    »Hier, mein Kind.«
    Ich führte ihren jungen Gatten herein, und ich legte ihre Hand in die seine, und die einzigen Worte, die ich noch an die beiden richten konnte, lauteten:
    »Doktor Marigolds letztes Rezept. Muß fürs ganze Leben genommen werden.«
    Darauf lief ich davon.
    Zur Hochzeit trug ich zum ersten und letzten Mal in meinem ganzen Leben einen Rock (blau mit Metallknöpfen) und ich gab Sophy mit eigener Hand hinweg. Die Gesellschaft bestand bloß aus uns dreien und dem Gentleman, unter dessen Obhut sie während der vergangenen zwei Jahre gestanden hatte. Das Hochzeitsmahl für vier Personen fand im Bibliothekswagen statt. Taubenpastete, gepökelter Schweinebraten, ein Geflügel, dazu passendes Gemüse und das Schönste und Beste zu trinken. Ich hielt eine Rede, der Gentleman hielt eine Rede, alle unsere Späße hatten Erfolg, und das Ganze nahm seinen Gang wie eine Rakete. Während des Mahles erklärte ich Sophy, daß ich den Bibliothekswagen als meinen Wohnwagen benutzen würde, wenn ich nicht auf der Fahrt wäre, und daß ich alle Bücher für sie, so wie sie standen, aufbewahren würde, bis sie zurückkäme, um sie zu verlangen. So ging sie also mit ihrem jungen Gatten nach China, nachdem wir unter heißen Tränen bitter schweren Abschied genommen hatten; ich verschaffte dem Jungen, den ich hatte, eine andere Stelle, und nun schritt ich wie früher, als mein Kind und mein Weib gestorben waren, mit der Peitsche über der Schulter allein neben dem alten Gaul her.
    Sophy schrieb mir viele Briefe, und ich schrieb ihr viele Briefe. Gegen Ende des ersten Jahres erhielt ich einen von ihr, der mit unsicherer Hand geschrieben war:
    »Liebster Vater, vor nicht ganz einer Woche wurde mir ein süßes kleines Töchterchen geschenkt, aber ich bin so wohlauf, daß man mir gestattet hat, diese Worte an Euch zu schreiben. Liebster und bester Vater, ich hoffe, mein Kind wird nicht taubstumm sein, aber ich weiß es noch nicht.«
    In meiner Antwort bat ich in vorsichtigen Worten um baldige Nachricht darüber; da aber Sophy niemals darauf zurückkam, so merkte ich, daß dies ein schmerzlicher Punkt war, und äußerte die Bitte nicht wieder. Lange Zeit wechselten wir regelmäßig Briefe, aber dann

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