Delphi Werke von Charles Dickens (Illustrierte) (German Edition)
als sie noch am Leben war‹ – sagte ich – ›o gewiß, sehr geliebt!‹
Er sah unruhig im Zimmer umher, und ich gewahrte, wie seine Hand die Lehne seines Stuhles ergriff; aber er antwortete nicht.
›Ha, elender Bube‹, sagte ich; ›ich weiß alles; ich bin dem höllischen Komplott, das Ihr gegen mich geschmiedet, auf die Spur gekommen und weiß, daß ihr Herz an einem andern hing, ehe Ihr sie zwangt, mein Weib zu werden. Ich weiß es – ich weiß es.‹
Er sprang von seinem Stuhle auf, schwang denselben in der Luft und rief mir zu, zurückzutreten – denn ich war ihm, während ich sprach, immer näher gerückt.
Ich schrie eher, als ich sprach, denn ich fühlte ungestüme Leidenschaft durch meine Adern wirbeln, und die alten Geister flüsterten mir mit höhnendem Grinsen zu, ich solle ihm das Herz aus dem Leibe reißen.
›Gott verdamme dich‹, rief ich auffahrend und auf ihn losstürzend; ›ich habe sie getötet. Ich bin ein Wahnsinniger. Nieder mit dir! Blut – Blut muß ich sehen.‹
Ich warf den Stuhl, den er in seinem Entsetzen nach mir schleuderte, mit einem Schlage bei Seite, rückte ihm auf den Leib, und wir beide stürzten mit einem dumpfen Krachen zur Erde.
Ein herrlicher Kampf – denn er war ein großer starker Mann, der sich um sein Leben wehrte und ich ein Toller, der mit der Kraft des Wahnsinns rang und nach seinem Blute dürstete.
Ich kannte keine Kraft, die der meinen widerstehen konnte – und ich hatte recht. Abermals recht, obgleich ich wahnsinnig war! Sein Kämpfen wurde immer schwächer. Ich kniete auf seine Brust und umkrallte seine Rechte mit ehernen Griffen. Sein Gesicht wurde purpurrot, seine Augen sprangen aus dem Kopfe hervor, und er schien mich mit der hervortretenden Zunge zu verhöhnen. Ich drückte immer fester.
Die Tür flog plötzlich geräuschvoll auf, und eine Menge Volks drang herein, das sich gegenseitig zurief, den Wahnsinnigen zu ergreifen.
Mein Geheimnis war verraten, und mein Kampf galt jetzt nur noch meiner Freiheit. Ich war, ehe mich noch eine Hand berührte, wieder auf den Beinen, stürzte mich auf die Angreifenden und bahnte mir mit so kräftigen Armen, als hätte ich ein Beil in der Hand, mit dem ich alles niederschmetterte, einen Weg. Ich erreichte die Tür, schwang mich über das Treppengeländer und befand mich im Nu auf der Straße.
Ich eilte immer gerade aus, aber niemand wagte es, mich anzuhalten. Ich hörte den Ton von Fußtritten hinter mir und verdoppelte meine Hast. Die Tritte der Verfolger ließen sich immer schwächer und schwächer vernehmen und erstorben endlich ganz und gar. Aber immer noch jagte ich weiter über Sumpfgründe und Gräben, über Hecken und Zäune unter wildem Jubelgeschrei, und die wunderlichen Wesen, die mich von allen Seiten umgaben, stimmten darin überein, daß die ganze Luft von dem Geheule erfüllt war. Ich wurde von den Armen der Dämonen getragen, die im Winde dahinfegten und alle Hindernisse vor sich niederwarfen; das Getümmel und die Eile, womit sie mich fortzogen, machten mich schwindlig, bis sie mich endlich gewaltsam abschleuderten und ich mit einem schweren Falle auf die Erde stürzte. Als ich wieder erwachte, fand ich mich hier – hier in dieser lustigen Zelle, wo mich die Sonne selten besucht, deren Strahlen nur dazu dienen, mir die dunklen Schatten, die mich umringen, und die stumme Gestalt in ihrem Winkel zu zeigen. Wenn ich wachend daliege, so höre ich bisweilen wunderliche Rufe, die aus fernen Teilen dieses großen Gebäudes zu mir dringen. Was sie zu bedeuten haben, weiß ich nicht; aber sie kommen nie von der bleichen Gestalt, die ihrer nicht einmal achtet. Von den ersten Schatten des Abends bis zum frühsten Licht des Morgens steht sie regungslos an demselben Platz, horcht auf die Musik meiner Eisenkette und sieht zu, wie ich in meinem Strohlager wühle.«
Am Schlüsse dieses Manuskripts stand, von einer andern Hand geschrieben, folgende Note:
»Der Unglückliche, dessen Zustand in den vorstehenden Zeilen geschildert ist, bietet ein trauriges Beispiel von den verderblichen Folgen schlechter Erziehung und so lange fortgesetzter Ausschweifungen, bis sich ihre Folgen nicht mehr gutmachen ließen. Das wüste Leben seiner jüngeren Jahre hatte Fieber und Raserei erzeugt. In dieser bemächtigte sich seiner die wunderliche Vorstellung, daß der Wahnsinn in seiner Familie erblich sei – eine Vorstellung, die sich auf eine wohlbekannte pathologische Theorie gründete: sie wird teils von den Ärzten
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