Dem Pharao versprochen
allein sein würde und sich ausheulen konnte. Aber Selket machte noch keine Anstalten zu gehen.
»Nächste Woche ist Duamutef bei Inets Familie eingeladen«, plapperte sie weiter. »Die Eltern wollen ihn kennenlernen. Wahrscheinlich dauert es dann auch nicht mehr lange, bis sie sich verloben.«
Anchesenamun sprang auf. Sie hielt es nicht mehr aus. »Entschuldige, ich muss …« Sie verließ den Raum, rannte hinaus auf den Flur und suchte das geheime Gemach auf. Es war nur ein kleiner, dunkler Verschlag, ziemlich ungemütlich, und es stank, aber Anchesenamun war erleichtert, als sie den Riegel vorschieben konnte. Sie lehnte sich mit dem Rücken gegen die Tür. Die Tränen liefen ihr über die Wangen.
Es darf nicht sein, es darf nicht sein …
Die Welt schien für sie zusammenzubrechen. Es kam ihr so vor, als habe sie keine Zukunft mehr, dabei hatte ihr der Verstand die ganze Zeit über gesagt, dass ein Leben mit Duamutef ausgeschlossen war. Aber sie hatte immer gehofft, dass irgendein Wunder geschehen und eine Wende eintreten würde …
In ihrer Phantasie sah sie Duamutef, wie er die kleine mollige Inet in die Arme nahm und sie fast darin versank. Sie stellte sich vor, wie eine Schar Kinder um die beiden herumlaufen würde – und die Tränen flossen noch stärker.
Sie hatte ihn verloren … Damit musste sie sich jetzt abfinden. Sie hatte auch seine Freundschaft verloren … Ihre Gedanken wanderten zurück, in die Zeit, in der sie mit Duamutef zusammen Streifzüge am Nilufer unternommen hatte. Sie hörte das Rascheln des Schilfs, spürte die scharfkantigen Blätter an ihren Armen … Sie sah Duamutefs Rücken, wie er sich einen Weg durch das Schilfmeer bahnte, sie erinnerte sich, wie er sich umdrehte und den Zeigefinger auf die Lippen legte … wie sie sich dann vorsichtig an ihn heranpirschte und in die Richtung sah, in die er deutete … Einmal hatten sie gemeinsam ein junges Nilpferd entdeckt, was nicht ungefährlich gewesen war, denn die Nilpferdmütter wachten eifersüchtig über ihren Nachwuchs und waren äußerst angriffslustig.
Dies alles war jetzt vorbei – für immer.
Stattdessen war sie die Große Königliche Gemahlin, musste repräsentieren und einen Thronfolger gebären.
Anchesenamun strich über ihren Bauch und stellte sich vor, wie es wäre, Duamutefs Kind in sich zu tragen. Sofort sah sie einen kleinen Jungen vor sich, der in einer Pfütze spielte und kleine Holzstücke als Boote fahren ließ, die Duamutef für ihn geschnitzt hatte. Das Bild war so lebendig, fast wie eine Vision. Sie konnte jede Einzelheit sehen, sogar das Spiegelbild der Lehmhäuser im Wasser. Der Junge war Duamutef wie aus dem Gesicht geschnitten, er blickte über die Schulter und grinste spitzbübisch – genau wie Duamutef es so oft getan hatte …
Anchesenamun blinzelte, und das Bild verschwand. Sie war allein in dem dunklen, engen Gemach. Durch eine Öffnung oben an der Wand fiel etwas Licht herein. Sie hörte, wie draußen junge Vögel piepsten; anscheinend hatten Schwalben in der Nähe ein Nest gebaut.
Schwalben bringen Glück
, dachte sie. Aber war das Glück nicht aus ihrem Leben verbannt?
Gleich darauf schämte sie sich wegen ihrer Gedanken. Sie war wirklich undankbar. Sie war gesund und erwartete ein Kind. Sie war die Frau des Pharaos, der von seinem Volk geliebt und bewundert wurde.
Gleich morgen gehe ich in den Tempel und bringe Amun ein Opfer, nahm sich Anchesenamun vor. Ich werde für mein Kind und meine Ehe beten. Und ich werde auch darum bitten, Duamutef zu vergessen. Diese Liebe kann und darf nicht sein, und sie tut mir auch gar nicht gut …
Jemand pochte zaghaft von außen an die Tür.
»Anchi, ist alles in Ordnung mit dir?« Es war Selkets Stimme.
»Ja«, antwortete Anchesenamun.
»Ich habe mir Sorgen um dich gemacht. Ich dachte, du seist vielleicht ohnmächtig geworden.«
»Nein, es ist alles gut. Ich habe mich nur übergeben müssen – wieder mal«, log Anchesenamun.
Sie hörte, wie Selket sich entfernte, und atmete tief aus.
Sicher hatte Amun ein Einsehen und würde ihr helfen, Duamutef zu vergessen.
Geliebte Gemahlin,
nun bin ich schon mehrere Wochen hier in Memphis, und es wird höchste Zeit für den Brief, den ich Dir versprochen habe. Ich und meine Männer sind wohlbehalten hier angekommen. Die Reise verlief ohne Probleme. Nur einmal gab es einen Zwischenfall: Einer meiner Soldaten wurde am frühen Morgen von einem Krokodil angegriffen. Man eilte ihm zwar zu Hilfe,
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