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Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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das des tadellosen Bürgers. Und dann – ich habe das einmal gelesen – ist das Leben des Wüstlings eine der besten Vorbereitungen für den Mystiker. Es sind ja auch immer solche Leute wie der heilige Augustin, die zu Sehern werden. Der war vorher auch ein Genießer und Lebemann.«
    Ich war mißtrauisch und wollte mich keineswegs von ihm meistern lassen. So sagte ich blasiert: »Ja, jeder nach seinem Geschmack! Mir ist es, offen gestanden, gar nicht darum zu tun, ein Seher oder so etwas zu werden.« Demian blitzte mich aus leicht eingekniffenen Augen wissend an.
    »Lieber Sinclair«, sagte er langsam, »es war nicht meine Absicht, dir Unangenehmes zu sagen. Übrigens – zu welchem Zweck du jetzt deine Schoppen trinkst, wissen wir ja beide nicht. Das in dir, was dein Leben macht, weiß es schon. Es ist so gut, das zu wissen: daß in uns drinnen einer ist, der alles weiß, alles will, alles besser macht als wir selber. – Aber verzeih, ich muß nach Hause.«
    Wir nahmen kurzen Abschied. Ich blieb sehr mißmutig sitzen, trank meine Flasche vollends aus, und fand, als ich gehen wollte, daß Demian sie schon bezahlt hatte. Das ärgerte mich noch mehr.
    Bei dieser kleinen Begebenheit hielten nun meine Gedanken wieder an. Sie waren voll von Demian. Und die Worte, die er in jenem Gasthaus vor der Stadt gesagt, kamen in meinem Gedächtnis wieder hervor, seltsam frisch und unverloren. – »Es ist so gut, das zu wissen, daß in uns drinnen einer ist, der alles weiß!«
    Ich blickte auf das Bild, das am Fenster hing und ganz erloschen war. Aber ich sah die Augen noch glühen. Das war der Blick Demians. Oder es war der, der in mir drinnen war. Der, der alles weiß.
    Wie hatte ich Sehnsucht nach Demian! Ich wußte nichts von ihm, er war mir nicht erreichbar. Ich wußte nur, daß er vermutlich irgendwo studiere und daß nach dem Abschluß seiner Gymnasiastenzeit seine Mutter unsere Stadt verlassen habe.
    Bis zu meiner Geschichte mit Kromer zurück suchte ich alle Erinnerungen an Max Demian in mir hervor. Wie vieles klang da wieder auf, was er mir einst gesagt hatte, und alles hatte heut noch Sinn, war aktuell, ging mich an! Auch das, was er bei unsrem letzten, so wenig erfreulichen Zusammentreffen über den Wüstling und den Heiligen gesagt hatte, stand mir plötzlich hell vor der Seele. War es nicht genauso mit mir gegangen? Hatte ich nicht in Rausch und Schmutz gelebt, in Betäubung und Verlorenheit, bis mit einem neuen Lebensantrieb gerade das Gegenteil in mir lebendig geworden war, das Verlangen nach Reinheit, die Sehnsucht nach dem Heiligen?
    So ging ich weiter den Erinnerungen nach, es war längst Nacht geworden, und draußen regnete es. Auch in meinen Erinnerungen hörte ich es regnen, es war die Stunde unter den Kastanienbäumen, wo er mich einst wegen Franz Kromer ausgefragt und meine ersten Geheimnisse erraten hatte. Eines ums andere kam hervor, Gespräche auf dem Schulweg, die Konfirmationsstunden. Und zuletzt fiel mein allererstes Zusammentreffen mit Max Demian mir ein. Um was hatte es sich doch da gehandelt? Ich kam nicht gleich darauf, aber ich ließ mir Zeit, ich war ganz darein versunken. Und nun kam es wieder, auch das. Wir waren vor unserem Hause gestanden, nachdem er mir seine Meinung über Kain mitgeteilt hatte. Da hatte er von dem alten, verwischten Wappen gesprochen, das über unsrem Haustor saß, in dem von unten nach oben breiter werdenden Schlußstein. Er hattegesagt, es interessiere ihn, und man müsse auf solche Sachen achthaben.
    In der Nacht träumte ich von Demian und von dem Wappen. Es verwandelte sich beständig, Demian hielt es in Händen, oft war es klein und grau, oft mächtig groß und vielfarbig, aber er erklärte mir, daß es doch immer ein und dasselbe sei. Zuletzt aber nötigte er mich, das Wappen zu essen. Als ich es geschluckt hatte, spürte ich mit ungeheurem Erschrecken, daß der verschlungene Wappenvogel in mir lebendig sei, mich ausfülle und von innen zu verzehren beginne. Voller Todesangst fuhr ich auf und erwachte.
    Ich wurde munter, es war mitten in der Nacht, und hörte es ins Zimmer regnen. Ich stand auf, um das Fenster zu schließen, und trat dabei auf etwas Helles, das am Boden lag. Am Morgen fand ich, daß es mein gemaltes Blatt war. Es lag in der Nässe am Boden und hatte sich in Wülste geworfen. Ich spannte es zum Trocknen zwischen Fließblätter in ein schweres Buch. Als ich am nächsten Tage wieder danach sah, war es getrocknet. Es hatte sich aber verändert. Der

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