Demian
meine, wie es erstmals in der kleinen, weißen Schale aufleuchtete.
Ich begann mit Vorsicht. Ein Gesicht zu malen, war schwer, ich wollte es erst mit anderem probieren. Ich malte Ornamente, Blumen und kleine phantasierte Landschaften, einen Baum bei einer Kapelle, eine römische Brücke mit Zypressen. Manchmal verlor ich mich ganz in dies spielende Tun, war glücklich wie ein Kind mit einer Farbenschachtel. Schließlich aber begann ich, Beatrice zu malen.
Einige Blätter mißglückten ganz und wurden weggetan. Je mehr ich mir das Gesicht des Mädchens vorzustellen suchte, das ich je und je auf der Straße antraf, desto weniger wollte es gehen. Schließlich tat ich darauf Verzicht und begann einfach ein Gesicht zu malen, der Phantasie und den Führungen folgend, die sich aus dem Begonnenen, aus Farbe und Pinsel von selber ergaben. Es war ein geträumtes Gesicht, das dabei herauskam, und ich war nicht unzufrieden damit. Doch setzte ich den Versuch sogleich fort, und jedes neue Blatt sprach etwas deutlicher, kam dem Typ näher, wenn auch keineswegs der Wirklichkeit.
Mehr und mehr gewöhnte ich mich daran, mit träumerischem Pinsel Linien zu ziehen und Flächen zu füllen, die ohne Vorbild waren, die sich aus spielendem Tasten, aus dem Unbewußtenergaben. Endlich machte ich eines Tages, fast bewußtlos, ein Gesicht fertig, das stärker als die früheren zu mir sprach. Es war nicht das Gesicht jenes Mädchens, das sollte es auch längst nimmer sein. Es war etwas anderes, etwas Unwirkliches, doch nicht minder Wertvolles. Es sah mehr wie ein Jünglingskopf aus als wie ein Mädchengesicht, das Haar war nicht hellblond wie bei meinem hübschen Mädchen, sondern braun mit rötlichem Hauch, das Kinn war stark und fest, der Mund aber rotblühend, das Ganze etwas steif und maskenhaft, aber eindrücklich und voll von geheimem Leben.
Als ich vor dem fertigen Blatte saß, machte es mir einen seltsamen Eindruck. Es schien mir eine Art von Götterbild oder heiliger Maske zu sein, halb männlich, halb weiblich, ohne Alter, ebenso willensstark wie träumerisch, ebenso starr wie heimlich lebendig. Dies Gesicht hatte mir etwas zu sagen, es gehörte zu mir, es stellte Forderungen an mich. Und es hatte Ähnlichkeit mit irgend jemand, ich wußte nicht mit wem.
Das Bildnis begleitete nun eine Weile alle meine Gedanken und teilte mein Leben. Ich hielt es in einer Schieblade verborgen, niemand sollte es erwischen und mich damit verhöhnen können. Aber sobald ich allein in meinem Stübchen war, zog ich das Bild heraus und hatte Umgang mit ihm. Abends heftete ich es mit einer Nadel mir gegenüber überm Bett an die Tapete, sah es bis zum Einschlafen an, und morgens fiel mein erster Blick darauf.
Gerade in jener Zeit fing ich wieder an, viel zu träumen, wie ich es als Kind stets getan hatte. Mir schien, ich habe jahrelang keine Träume mehr gehabt. Jetzt kamen sie wieder, eine ganz neue Art von Bildern, und oft tauchte das gemalte Bildnis darin auf, lebend und redend, mir befreundet oder feindlich, manchmal bis zur Fratze verzogen und manchmal unendlich schön, harmonisch und edel.
Und eines Morgens, als ich aus solchen Träumen erwachte, erkannte ich es plötzlich. Es sah mich so fabelhaft wohlbekannt an, es schien meinen Namen zu rufen. Es schien mich zu kennen, wie eine Mutter, schien mir seit allen Zeiten zugewandt. Mit Herzklopfen starrte ich das Blatt an, die braunen, dichten Haare, den halbweiblichen Mund, die starke Stirn mit der sonderbaren Helligkeit (es war von selber so aufgetrocknet), und näher undnäher fühlte ich in mir die Erkenntnis, das Wiederfinden, das Wissen.
Ich sprang aus dem Bette, stellte mich vor dem Gesicht auf und sah es aus nächster Nähe an, gerade in die weit offenen, grünlichen, starren Augen hinein, von denen das rechte etwas höher als das andere stand. Und mit einemmal zuckte dies rechte Auge, zuckte leicht und fein, aber deutlich, und mit diesem Zucken erkannte ich das Bild ...
Wie hatte ich das erst so spät finden können! Es war Demians Gesicht.
Später verglich ich das Blatt oft und oft mit Demians wirklichen Zügen, wie ich sie in meinem Gedächtnis fand. Sie waren gar nicht dieselben, obwohl ähnlich. Aber es war doch Demian.
Einst an einem Frühsommerabend schien die Sonne schräg und rot durch mein Fenster, das nach Westen blickte. Im Zimmer wurde es dämmerig. Da kam ich auf den Einfall, das Bildnis Beatricens, oder Demians, mit der Nadel ans Fensterkreuz zu heften und es anzusehen, wie
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