Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Demian

Demian

Titel: Demian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
Mütterlichkeit, Zügen von Strenge, Zügen von tiefer Leidenschaft, schön und verlockend, schön und unnahbar, Dämon und Mutter, Schicksal und Geliebte. Das war sie!
    Wie ein wildes Wunder durchfuhr es mich, als ich so erfuhr, daß mein Traumbild auf der Erde lebe! Es gab eine Frau, die so aussah, die die Züge meines Schicksals trug! Wo war sie? Wo? – Und sie war Demians Mutter.
    Bald darauf trat ich meine Reise an. Eine sonderbare Reise! Ich fuhr rastlos von Ort zu Ort, jedem Einfall nach, immer auf der Suche nach dieser Frau. Es gab Tage, da traf ich lauter Gestalten, die an sie erinnerten, an sie anklangen, die ihr glichen, die michdurch Gassen fremder Städte, durch Bahnhöfe, in Eisenbahnzüge lockten, wie in verwickelten Träumen. Es gab andere Tage, da sah ich ein, wie unnütz mein Suchen sei; dann saß ich untätig irgendwo in einem Park, in einem Hotelgarten, in einem Wartesaal und schaute in mich hinein und versuchte das Bild in mir lebendig zu machen. Aber es war jetzt scheu und flüchtig geworden. Nie konnte ich schlafen, nur auf den Bahnfahrten durch unbekannte Landschaften nickte ich für Viertelstunden ein. Einmal, in Zürich, stellte eine Frau mir nach, ein hübsches, etwas freches Weib. Ich sah sie kaum und ging weiter, als wäre sie Luft. Lieber wäre ich sofort gestorben, als daß ich einer andern Frau auch nur für eine Stunde Teilnahme geschenkt hätte.
    Ich spürte, daß mein Schicksal mich zog, ich spürte, daß die Erfüllung nahe sei, und ich war toll vor Ungeduld, daß ich nichts dazu tun konnte. Einst auf einem Bahnhof, ich glaube, es war in Innsbruck, sah ich in einem eben wegfahrenden Zug am Fenster eine Gestalt, die mich an sie erinnerte, und war tagelang unglücklich. Und plötzlich erschien die Gestalt mir wieder nachts in einem Traum, ich erwachte mit einem beschämten und öden Gefühl von der Sinnlosigkeit meiner Jagd und fuhr geraden Weges nach Hause zurück.
    Ein paar Wochen später ließ ich mich auf der Universität H. einschreiben. Alles enttäuschte mich. Das Kolleg über Geschichte der Philosophie, das ich hörte, war ebenso wesenlos und fabrikmäßig wie das Treiben der studierenden Jünglinge. Alles war so nach der Schablone, einer tat wie der andere, und die erhitzte Fröhlichkeit auf den knabenhaften Gesichtern sah so betrübend leer und fertiggekauft aus! Aber ich war frei, ich hatte meinen ganzen Tag für mich, wohnte still und schön in altem Gemäuer vor der Stadt und hatte auf meinem Tisch ein paar Bände Nietzsche liegen. Mit ihm lebte ich, fühlte die Einsamkeit seiner Seele, witterte das Schicksal, das ihn unaufhaltsam trieb, litt mit ihm und war selig, daß es einen gegeben hatte, der so unerbittlich seinen Weg gegangen war.
    Spät am Abend schlenderte ich einst durch die Stadt, im wehenden Herbstwind, und hörte aus den Wirtshäusern die Studentenvereine singen. Aus geöffneten Fenstern drang Tabakrauch in Wolken hervor, und in dickem Schwall der Gesang, laut und straff, doch unbeschwingt und leblos uniform.
    Ich stand an einer Straßenecke und hörte zu, aus zwei Kneipen scholl die pünktlich ausgeübte Munterkeit der Jugend in die Nacht. Überall Gemeinsamkeit, überall Zusammenhocken, überall Abladen des Schicksals und Flucht in warme Herdennähe!
    Hinter mir gingen zwei Männer langsam vorüber. Ich hörte ein Stück von ihrem Gespräch.
    »Ist es nicht genau wie das Jungmännerhaus in einem Negerdorf?« sagte der eine. »Alles stimmt, sogar das Tätowieren ist noch Mode. Sehen Sie, das ist das junge Europa.«
    Die Stimme klang mir wunderlich mahnend – bekannt. Ich ging den beiden in der dunklen Gasse nach. Der eine war ein Japaner, klein und elegant, ich sah unter einer Laterne sein gelbes lächelndes Gesicht aufglänzen.
    Da sprach der andere wieder.
    »Nun, es wird bei Ihnen in Japan auch nicht besser sein. Die Leute, die nicht der Herde nachlaufen, sind überall selten. Es gibt auch hier welche.«
    Jedes Wort durchdrang mich mit freudigem Schrecken. Ich kannte den Sprecher. Es war Demian.
    In der windigen Nacht folgte ich ihm und dem Japaner durch die dunkeln Gassen, hörte ihren Gesprächen zu und genoß den Klang von Demians Stimme. Sie hatte den alten Ton, sie hatte die alte, schöne Sicherheit und Ruhe, und sie hatte die Macht über mich. Nun war alles gut. Ich hatte ihn gefunden.
    Am Ende einer vorstädtischen Straße nahm der Japaner Abschied und schloß eine Haustür auf. Demian ging den Weg zurück, ich war stehengeblieben und erwartete

Weitere Kostenlose Bücher